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Warten auf Spartakus

VIDEOINSTALLATIONEN Es ist oft ein Humor der Verzweiflung, mit dem in der Ausstellung „Balagan!!!“ im Kühlhaus am Gleisdreieck auf die Gegenwart in den ehemaligen Ländern des Ostblocks geblickt wird

von Katrin Bettina Müller

Ist das Satire? Die Frauen, die mit hochtoupierten Haaren und Perlenketten jungen Ehefrauen im Fernsehen raten, ihrem Mann vor allem Unterstützung bei seiner Karriere zu geben – „Männer sind nun mal intelligenter als wir“ –, sehen nach einer Welt von vorgestern aus. Zu sehen sind sie in einem Video von Anastasia Vepreva, einer jungen, 1989 geborenen Künstlerin aus St. Petersburg. Nein, sie hat das nicht inszeniert, es ist found footage aus einer russischen Reality-Show, die sie für ihre Videoarbeit „She has to“ benutzt und jetzt in der Ausstellung „Balagan!!!“ im Kühlhaus präsentiert.

Gut ein Viertel der 74 Positionen aus 14 Ländern des ehemaligen Ostblocks, die der Kurator David Elliot für die Ausstellung „Balagan!!!“ nach Berlin gebracht hat, stammt von Künstlerinnen. Da ist Sasha Pirogowa, geboren 1986, die Performer eigenwillige Rituale in Moskaus größter Bibliothek, der ehemaligen Lenin-Bibliothek, aufführen ließ: Sie tanzen mit Feuerlöschern, essen Papier, verstecken das Gesicht in Büchern, tasten blind durch die Regale, hängen an Karteikästen.

Zeremonieller Umgang

Balagan!!!

Die Ausstellung ist im Kühlhaus am Gleisdreieck (Mo., Mi., Do., So. 12–18 Uhr, Fr. + Sa. 12– 18 Uhr), im Liebermann Haus (Mo., Mi.–Fr. 10–18 Uhr, Sa. + So. 11–18 Uhr) und in der Galerie Momentum im Kunstquartier Bethanien (Mi.–Mo. 12 bis 18 Uhr) zu sehen. Bis 23. Dezember.

Performance: Im Frühjahr 2015 ließen sich Oleg Soulimenko und die Videokünstlerin Anna Jermolaeva rund um den Baikalsee von drei SchamanInnen in ihre Praktiken einweisen. Ihre darauf beruhende Performance ist am 24. und 25. 11. um 20 Uhr in der Volksbühne zu sehen.

Am 26. + 27. 11. läuft ein dokumentarisches Stück über die Ermordung eines Antifaschisten durch Neonazis, „Antikörper Russland“.

Mehr zum Programm unter www.nordwind-festival.de

Das ist ein zeremonieller Umgang mit den Archiven des Wissens und der Vergangenheit, ein Umtanzen eher als ein Aufschlüsseln der Geschichte. Und damit vielleicht ebenso sprechend für das Versiegeln von Vergangenheiten, für das Verdrängen und Vergessen, wie die große 5-Kanal-Videoinstallation „Kurchatov 22“ von Almagul Menlibayeva, die in einer zerstörten Landschaft gedreht hat, im kasachischen Semipalatinsk, wo ehemals sowjetische Atomwaffen getestet wurden. Es sind monumentale Bilder von entleerten Landschaften und Räumen, in denen trauernde einsame Stimmen, teils von Überlebenden, teils von Geistern, erzählen, was geschah. Ein verzweifelter Befund der Wirklichkeit, ein Rückblick auf gescheiterte Utopien, ein Kasperletheater der Mächtigen, das vereint viele Beiträge von „Balagan!!!“.

Eine Ausnahme, in der noch ein Rest von Freiraum sichtbar wird, hart erkämpft und mit Mühe aufrechtzuerhalten, ist die Porträtserie „True Self“ von Natalie Maximova: Sie hat Menschen besucht, die ihr gewähltes Geschlecht mit einer operativen Angleichung bestätigen konnten und sich ihr nun so zeigen, wie sie gesehen werden wollen. Es sind melancholische und trotzige Posen, die auch von Einsamkeit erzählen.

Der Ausstellungstitel ist ein Aufschrei, „Balagan!!!“, ein vieldeutiger russischer Ausruf, der dem Durcheinander, dem Schrecken und dem Chaos gilt, aber auch das komplett Verdrehte, Komische und Absurde, auf die Spitze Getriebene meinen kann. David Elliot, der Kurator, sieht „Balagan!!!“ als Einladung an den Karneval, an das Vertauschen der Rollen von oben und unten, an surrealistische Gesten des Unterlaufens der Kontrolle. Er knüpft damit an eine lange Tradition in der russischen und sowjetischen Kunst an. Einige teilnehmende Künstler gehören zur Prominenz derer, die seit dem Ende der Sowjetunion das Bild einer kritischen Kunst prägen, wie der Fotograf Boris Mi­khailov oder der Zeichner Pavel Pepperstein.

Zu den Stars der Szene gehört AES + F, deren opulentes Video „Inverso Mundus“ den Besucher im Kühlhaus empfängt: Aufwendig komponierte Bilder, barock und futuristisch. Hier ist jeder Körper eine perfekt de­signte Ware, ob es sich um Sklaven handelt, die aufs Rad oder in einen Block geschnallt werden oder um kühle Herrscherinnen. Die meisten Künstler aber sind hier unbekannt. Entdecken kann man im Kühlhaus etwa Elena und Viktor Vorobyev aus Kasachstan, deren dokumentarische anmutende Fotografien zugleich einem Farbcode auf der Spur sind, der ein Blau, die symbolische Farbe des Umbruchs, sogar auf Mülltonnen aufspürt. Oder Haim Sokol, der mit Schaufeln, Matratzen und Bettbezügen einen Teil des Ausstellungsraums in den Schlafraum von schlecht bezahlten Gastarbeitern verwandelt hat Mit diesen hat er in Moskau den Aufstand des Spartakus reinszeniert, im Stadtraum, gefilmt wie ein Stummfilm, dessen heroische Bildsprache wieder in der Zeit der Utopien vom Anfang des 20.Jahrhunderts zurückreicht.

Vieles umtanzt die Geschichte, so spricht es für das Versiegeln von Vergangenheiten

Ein zweiter Teil der Ausstellung gastiert im Liebermann-Haus am Brandenburger Tor. Hier wird man mit einem gehörnten Ungetüm bekannt, ein mechanisches Monster, das schwanzpeitschend und trommelnd einen wilden Mix aus historischen und aktuellen Radiostimmen kommentiert in Kristovs Kinteras Installation „Bad News“. Aber man sieht auch viel von einer oft sehr symbolischen und anspielungsreichen Malerei, die dann doch etwas altbacken in ihrem Gestus wirkt: Wie „The World‘s Famous Matrioska Show“ von Egor Koshelev. Aus den Hüllen von Madonnen-Puppen schlüpfen bei ihm verschleierte und bewaffnete Krieger.

„Balagan!!!“, die Ausstellung, die an drei Orten stattfindet und eine Reihe zugehöriger Performances stecken übrigens selbst in anderen Hülle. Sie sind Teil des Nordwind-Festivals, das bisher vor allem den skandinavischen Künsten gewidmet ist und diesmal den Blick nach Osten kehrt.

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