Das neue Hamburger Musical „Aladdin“ ist so zuckrig, wie es eben sein muss – wer in so ein Stück geht, möchte sich schließlich nicht ängstigen. Manche tun es doch: Wie vier Schokomänner auf einmal oder sieben Eier zu Ostern
Fremd und befremdlich
KATRIN SEDDIG
Wenn wir euch besuchen kommen“, sagte die Tochter eines Freundes, „dann will ich in ein Musical.“
„Hmh“, sagte ich.
„Dann gehen wir alle zusammen in ein Musical“, sagte sie.
Damit mir das nicht passieren würde, musste ich deutlicher werden: „Ihr könnt das ja machen“, sagte ich, „ich möchte das eigentlich nicht.“
„Warum nicht?“, fragte sie.
„Das ist auch teuer“, wandte eilig ihr Vater ein, um mir zu Hilfe zu eilen.
Hamburg, das musste ich öfter schon erfahren, ist tatsächlich in einigen Kreisen bekannt für seine Musicals, die eigentlich nicht wirklich seine Musicals sind, weil sie zum Beispiel von Andrew Lloyd Webber erdacht worden sind. So wie das noch recht frische „Liebe stirbt nie“:
Als ich diesen Titel zuerst las, war ich verwirrt. Ich habe mal mit einer Schulklasse einen Text geschrieben, der sollte, nach dem Wunsch der Kinder, „Die Liebe stirbt nie“, heißen. Ich fragte mich damals, ob das geht, so ein Titel. Aber es war nicht mein Titel, und für Schulkinder geht alles, dachte ich.
Nun lese ich diesen Titel überall, und anscheinend geht er auch für Erwachsene. Und wer erwartet auch Hochkultur von einem Musical? Jeder erwartet Unterhaltung und Kitsch und Pathos und solches Zeug. Die meisten Leute halten zwar genau das für Hochkultur und für etwas richtig Gutes, aber das spielt ja keine Rolle, ob einer seine Erwartungen auch durchschaut.
Ich finde es nur ein bisschen gemein, dass Hamburg sich so auf dieses Musical-Ding konzentriert, dass die Stadt ausgerechnet damit am meisten wirbt, als würden diese Musicals zum großen Teil die Attraktivität der Stadt ausmachen. Tatsächlich haben sie doch eher nichts mit der Stadt zu tun.
Nun also hat Hamburg neben dem „König der Löwen“, dem „Dschungelbuch“, „Liebe stirbt nie“, „Peter Pan“, dem „Wunder von Bern“ und der „Heißen Ecke“, die tatsächlich eine Liebeserklärung an St. Pauli ist, und neben jeder Menge weiterer noch ein ganz neues Musical: „Aladdin“. Es lehnt sich nicht etwa an das Märchen an, es lehnt sich an den Disney-Film an, der sich an das Märchen anlehnt.
Und Disney ist schnuckeliger, bunter und zuckriger als jedes Ursprungsmärchen, das oft hart, grausam und in seiner Metaphorik erschütternd ist. Aber wer in ein Musical geht, will nicht vor den Kopf gestoßen werden, will nicht erschüttert werden, sich nicht ekeln und nicht ängstigen, kurz, er möchte keine unangenehmen Gefühle haben.
Er möchte nur „was Schönes“ sehen und hören und sich an den Stimmen, dem wunderhübschen Bühnenbild, dem Tanz und überhaupt dem Können erfreuen.
Alles okay. Ich finde es gar nicht schlimm. Ich war sogar einmal selbst in einem Musical, ich fand, es haben alle gut gesungen. Mir war nur ein bisschen übel danach, wie wenn man vier Schokomänner auf einmal gegessen hat, oder sieben Eier zu Ostern.
Was mir aufgefallen ist, an dem Aladin-Musical, und ich war ja nicht drin, ich sah nur Fotos: Das Bühnenbild ähnelt dem Lindt-Adventskalender, über den sich so viele besorgte deutsche Bürger empören, weil anhand dieses Adventskalenders, den es zwar schon seit zehn Jahren gibt, sich zeigen lassen soll, wie sehr die Islamisierung unseres Landes schon fortgeschritten ist.
Ich würde jetzt diesen Bürgern raten: Geht in dieses Musical, das könnte ein neuer Hinweis sein. Es gibt eine Fantasie-Moschee, eine Fantasie-arabische Märchenwelt mit Fantasie-Arabern, und dann die Pumphosen und der Aladin!
Das könnte alles ein weiteres Zeichen für die fortschreitende Islamisierung unseres deutschen Abendlandes sein. Den Besuchern des „Aladdin“-Musicals ist dies anscheinend noch nicht aufgefallen, oder sie sind darüber eben nicht so heftig besorgt wie die Adventskalenderkritiker.
Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.
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