: Habe keine Angst
filmgeschichte Widerstandserprobt ist der russische Filmhistoriker Naum Kleiman, porträtiert im Film "Cinema: A Public Affair"
Dass Naum Kleiman in Deutschland auftritt, ist gar keine Seltenheit. Der russisch-jüdische Filmhistoriker von Weltrang ist polyglott, spricht perfekt Deutsch und hat in den letzten Jahrzehnten auch die hiesige Kinolandschaft immer wieder begeistert. 2012, als er bei der Berlinale Sergei Eisensteins Revolutionsklassiker „Oktjabr“ (Oktober, 1928) vorstellte, dankte ihm der gesamte Friedrichstadtpalast mit Standing Ovations. In diesem Februar erhielt er für seine herausragenden Verdienste als Historiker, Publizist und Filmvermittler die Berlinale Kamera.
Bei dieser Ehrung hatte Tatiana Brandrups „Cinema: A Public Affair“ Weltpremiere. Kleiman ist der Protagonist dieses Films und im wahrsten Sinne des Wortes sein Held. Sein trauriger Held, sein mutiger Held. Nun, zum offiziellen Kinostart, kommt er gemeinsam mit der Regisseurin auf die Bühnen Berlins, um das zu tun, was er am besten beherrscht: einen Film zu zeigen, zu kommentieren und mit den Menschen darüber zu diskutieren. Eisenstein kennt er wie seine Westentasche. Aber nicht nur ihn. Sein Leben ist Film, ist Kino, ist die humanistische Mischung aus Illusionskraft, Kreativität, Reflexion, Bildung und Begeisterungsfähigkeit.
In ihm steckt ein Kind, aber auch der weise Mann, seine Stimme ist betörend, mal leise, mal gewaltig, aber doch stets zur Besinnung mahnend und von kulturpolitischer Bedeutung.
In der Eingangsszene von „Cinema: A Public Affair“ spricht er davon, dass Russland vor allem eines fehle: die Zivilgesellschaft. In der letzten Szene paraphrasiert er ein Zwiegespräch zwischen Einstein (genau, nicht Eisenstein) und dem lieben Gott. Weil die Technik des Steineritzens unterentwickelt war und die Juden auch noch das Goldene Kalb schaffen mussten, hätte Moses keine Gelegenheit gehabt, auch das Elfte Gebot zu registrieren. „Habe keine Angst“, lautete es. Gott hätte es Einstein aber dauernd ins Ohr geflüstert und dieser sich wohl daran gehalten.
Man kann annehmen, dass Naum Kleiman, der nunmehr vom (Putin treu ergebenen) Kulturministerium geschasste, über die Grenzen der Fachwelt hinaus bekannte, langjährige Leiter des Sergei-Eisenstein-Archivs (ab 1967) und Gründer des Moskauer Filmmuseums (ab 1989), sich ebenfalls an dieses ungeschriebene Gesetz zu halten pflegt. Immer wieder trat er der Demontage entgegen, die gegen ihn und seine – gerade im Hinblick auf die Stärkung der Zivilcourage so zentralen – Institution, das Filmmuseum, betrieben wurde. Er verfasste Briefe. Man verfasste für ihn Briefe. Vergeblich. Es gab Meetings, nicht hinter verschlossenen Türen, sondern öffentliche Demonstrationen.
Die Interviewten im Film – vom Weltstar Andrei Swaginzew („Leviathan“) bis hin zu der weitsichtigen Filmkritikerin der Nowaja Gaseta, Larisa Maljukowa – zeichnen das Bild einer ersten Widerstandszelle im sich formierenden Reich der Gleichgesinnten. Der Film reiht sich in diese Linie ein. Zum aktuellen Zeitpunkt heißt das: als Requiem. Barbara Wurm
7. Dezember, Kino Krokodil, 20 Uhr; 8. Dezember Bundesplatzkino, 20.30 Uhr
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