: Die nächste Sturmflut kann kommen
NORDDERBY Der HSV gewinnt endlich wieder mal in Bremen. Alle schwärmen von Trainer Labbadia. Mit ähnlichen Worten wurde in der vergangenen Saison das Hohelied auf Bremens Coach Skrpnik angestimmt
Aus Hamburg Ralf Lorenzen
Es ist neun Monate her, da diskutierten HSV-Präsident Dietmar Beiersdorfer und Werder-Aufsichtsratschef Marco Bode in Hamburg über die Zukunft der Bundesliga. Der HSV hatte gerade 0:8 gegen Bayer München verloren, während Werder Bremen von Sieg zu Sieg eilte. „Er hat uns wachgeküsst“, beschrieb Bode seinem alten Kumpel die Wirkung des neuen Trainers Viktor Skripnik und machte ihm gestenreich vor, wie Werder plötzlich immer den entscheidenden Schritt schneller am Ball war. Man kann davon ausgehen, dass sich die beiden auch am Samstag im Weserstadion unterhalten haben – nur dass diesmal wohl Beiersdorfer in den höchsten Tönen von seinem Trainer geschwärmt hat. Bruno Labbadia ist der Bundesliga-Trainer der Stunde. Wenn heute an der Elbe eine Sturmflut ausbrechen würde, wäre der Ruf nach ihm nicht weit. Schon als er den HSV Saison auf wunderliche Art vorm Abstieg bewahrte, erbte er den Ruf des Hamburg-Retters von Helmut Schmidt.
Noch Anfang dieser Saison sah er die Aufgabe, den von einer Peinlichkeit in die nächste schlitternden Klub wieder in die sportliche Schlagzeilen zu bringen, als „riesigen Berg, für den uns noch das Fundament fehlt“. Als er nun nach dem ersten Sieg in Bremen seit sechseinhalb Jahren sagte: „Das haben wir von der ersten Minute an hervorragend umgesetzt“, konnte man das auch auf seine gesamte Amtszeit beziehen. Der HSV ist nicht mehr die von ständig neuen Trainern zusammengewürfelte Truppe, deren Mannschaftsteile zu weit auseinanderstehen, sondern eine homogene Einheit mit verbindender Spielidee. „Wir funktionieren seit Wochen als Mannschaft sehr gut“, sagt Stürmer Nicolai Müller, der mit dem Treffer zum 3:1 die Bremer Hoffnungen auf eine Wende in dieser Partie, jäh zunichte gemacht hatte.
Der Unterschied zwischen einer funktionierenden und einer nichtfunktionierenden Mannschaft macht sich bei ähnlich spielstarken Teams meist daran fest, dass die eine „besser in die Zweikämpfe kommt“, die „zweiten Bälle gewinnt“ und das „bessere Umschaltspiel zeigt“, wie auch diesmal die häufigsten Erklärungen nach Spielschluss lauteten. Das ging diesmal schon in der dritten Minute los, als sich Claudio Pizarro am HSV-Strafraum im Gestocher den Ball abnehmen ließ, der dann blitzschnell über Müller und Pierre-Michel Lasogga und schließlich Ivo Ilicevic im Winkel des Bremer Tores landete.
Der Treffer gab den Takt für das ganze Spiel vor: Selbstbewusst angereiste Hamburger wurden noch sicherer, während die Knie der nach 0:6-Niederlage in Wolfsburg verunsicherten Bremer noch mehr einknickten. Das 2:0 nach einem abgefälschten Freistoß von Michael Gegoritsch verstärkte diese Tendenz nur noch. Die letzten Zweifel daran, dass der aktuelle HSV nichts mehr mit dem flatterhaften Haufen der Vor-Labbadia-Zeit zu tun hat, beseitigte die Coolness, mit der die Bremen nach dem Anschlusstreffen durch Anthony Ujah ausgekontert wurden.
Bruno Labbadia hatte selbst lange Zeit als Trainer den Ruf des unsicheren Kandidaten, der Mannschaften zwar schnell nach oben pushen, dann aber nicht in der Spur halten konnte. Von heute aus gesehen wurde der ihm schon nach seinen Demissionen in Hamburg und Stuttgart nicht gerecht, musste er diese Clubs doch jeweils in einer relativ komfortablen Situation verlassen. Die Ansprüche dieser Traditionsklubs waren damals eben noch an ruhmreichen Vergangenheiten orientiert.
Wenn die Spieler des HSV heute von ihrem Trainer schwärmen, dann klingt das ähnlich wie in Bremen noch vor ein paar Monaten. Dann ist viel von Vertrauen und Verbindlichkeit die Rede. Die braucht an der Weser jetzt der Trainer selbst. Märchenprinz Viktor Skripnik hat sich als Coach aus Fleisch und Blut erwiesen – bevor die Verantwortlichen in Bremen ihn nun zum Frosch machen, sollten sie ihm und der Mannschaft die Entwicklungszeit zugestehen, die Labbadia bei seinen bisherigen Stationen verwehrt blieb.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen