: Alles auf Los
ASYL Täglich kommen Hunderte Flüchtlinge nach Berlin. Sie alle suchen eine Perspektive. Dabei sind die Aussichten auf ein Bleiberecht denkbar ungleich verteilt. Was bedeutet das konkret für die Menschen? Die taz begleitet eine syrische und eine serbische Familie im neuen Berliner Alltag
Von Anna Klöpper
Gibt man bei Google das Wort „Flüchtling“ ein, bietet die Suchmaschine folgende Optionen zum Vervollständigen des Suchbegriffs an: „Strom“, „Flut“, „Welle“, „Krise“. Die Sprachbilder, die für die Menschen bemüht werden, die derzeit bei uns Zuflucht suchen, sind die für Naturkatastrophen. Eine Bedrohung wird dadurch suggeriert – und eine gewisse Hilflosigkeit, ein Ausgeliefertsein.
Was man dabei übersieht, beim furchtsamen Blick auf die „Welle“, sind die vielen persönlichen Geschichten, die einzelnen Tropfen in der „Welle“. Sie bleiben unsichtbar.
So wie Mahmoud Mottaweh und seine Frau Salwa Kamel. Die beiden Syrer sagen, sie fahren lieber mit ihren vier Kindern noch mal übers Mittelmeer, als die Razzien der Soldaten von Machthaber Assad in Damaskus zu ertragen. So wie Maria Jovanović* aus Serbien, die mit ihrem kleinen Bruder und ihrer Mutter Mitra* trotz zweier Ablehnungen zum dritten Mal einen Asylantrag stellen will – weil „alles besser ist als Serbien“.
Die Startbedingungen für die Familien in Berlin sind dabei denkbar ungleich verteilt: Mahmoud Mottaweh, seine Frau und ihre vier Kinder werden mit ziemlicher Sicherheit bleiben können. Die Anerkennungsquote von syrischen Flüchtlingen liegt laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bei 93,2 Prozent. Die andere, Familie Jovanovićaus Serbien, wird mit ziemlicher Sicherheit zurückmüssen. Von rund 25.000 Asylanträgen aus Serbien wurden 2015 ganze drei positiv beschieden.
Justitia ist blind, so sollte es zumindest sein. Das deutsche Asylrecht ist es nicht. Es schafft Unterschiede: Hier die Kriegsflüchtlinge, dort diejenigen, die vor Armut fliehen. Was aber heißt das für die Betroffenen konkret?
Ihre Wünsche sind jedenfalls die gleichen: Sie suchen ein Zuhause. Sie wollen Bildung, einen Job. Sicherheit für ihre Kinder. Frieden. Eine Perspektive. In ihren Heimatländern werden sie das auf absehbare Zeit nicht finden: Die politische Lage im Nahen Osten wird sich so schnell nicht ändern. Auf dem Balkan werden die Roma seit jeher ausgegrenzt.
Die Familien Mottaweh und Jovanovićsind gekommen, um zu bleiben. Die taz begleitet sie in den nächsten Monaten im neuen Berliner Alltag – bei der Suche nach einer eigenen Wohnung, auf die die Mottawehs nicht mehr lange warten wollen. Bei dem Bemühen, trotz allem einen Schulplatz für die Kinder zu bekommen, wie es Mitra Jovanovićwill. Nur wenn man in der großen „Flüchtlingswelle“ die Geschichten der Einzelnen sieht, versteht man, was derzeit politisch auf dem Spiel steht.
* Namen geändert
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