Raum für Neues

Champions League Unter Favre-Nachfolger André Schubert spielt Gladbach riskanter, schöner und spektakulärer. Gegen Sevilla feiert das Team einen historischen Sieg und darf weiter auf die Europa League hoffen

Jippie! Fabian Johnson (r.) freut sich mit Dahoud und Stindl (l.) Foto: reuters

MÖNCHENGLADBACH taz | Die Botschaft vom endgültigen Aufbruch versteckte sich in einem kleinen Satz, der beinahe unterging im süßen Rausch des historischen 4:2-Sieges von Borussia Mönchengladbach gegen den FC Sevilla, dem ersten Sieg des Klubs in der Champions League. Inmitten der Lobeshymnen sagte Torhüter Yann Sommer einen Satz: „Man hat schon letztes Jahr gesehen, dass diese Mannschaft sehr viel Qualität hat. Und es hat sich nicht viel verändert an Spielern, wir haben sogar noch Qualität dazubekommen.“

Wie bitte? In den bleiernen Wochen der ersten Saisonphase hatten Spieler, Trainer und Funktionäre bei jeder Gelegenheit gejammert, dass die beiden verlorenen Helden Max Kruse und Christoph Kramer nun einmal nicht zu ersetzen seien. Fans und Öffentlichkeit waren mit dem Hinweis auf diese Verluste auf ein hartes Jahr im Mittelmaß eingeschworen worden, und jetzt das. Die Mannschaft habe „noch Qualität dazubekommen“, sagte Sommer ernsthaft. Aber irgendwie hatte dieser Abend sich genauso angefühlt.

Lars Stindl, der Mann, der Kruse als Sturmpartner von Raffael ersetzt, spielt seit Wochen überragend, an diesem Abend erzielte er zwei Treffer selbst und bereitete das 4:1 vor. Der erst 19-jährige Andreas Christensen avanciert zu einer tragenden Säule in der Innenverteidigung und Mo Dahoud ist neben dem Schalker Leroy Sané und Dortmunds Julian Weigl die Entdeckung der Saison. Kaum noch jemand vermisst Kramer.

An diesem Abend vollzog das Team von Trainer André Schubert eine Art Vollendung der Metamorphose von Favres Selbstzweiflern hin zu einer prächtig blühenden Spitzenkraft. Denn es wurde endgültig erkennbar, dass es nicht mehr Favres Werk ist, das hier einfach fortgesetzt wird, es ist eine neue Mannschaft entstanden. Eine Mannschaft mit einer anderen Mentalität, die riskanter verteidigt und in der Defensive auch Fehler macht, die dafür aber an guten Tagen einen spektakulären Angriffsfußball spielt.

Sportdirektor Max Eberl erklärte stolz: „Wir haben in Gladbach einiges geschaffen, weit weg von Zufall und Glück.“ Es wird immer deutlicher, dass Favre an seiner Liebe zur zerbrochenen Mannschaft der Vorsaison scheiterte, sein Schmerz über den Verlust ließ zu wenig Raum für Neues. Nun ist dieses Team Schuberts Baby, und das zeigt sich besonders an der Champions-League-Saison. Zwar ist die Mannschaft schon ausgeschieden und kann nur noch auf das Erreichen der Europa League hoffen, etwa durch einen Sieg bei Manchester City oder einen Punktgewinn von Juventus Turin in Sevilla. Doch die Entwicklung ist deutlich. Klar ist auch längst, dass ein Aus der Borussen ein Verlust für den Europapokal wäre. Denn in dieser Verfassung wäre Borussia Mönchengladbach zweifellos ein ziemlich aufregender Europa-League-Teilnehmer.

Daniel Theweleit