: Interviews mit Denkmälern
POLITISCHE KUNST Aktivisten, Künstler und Performer arbeiten im zweiten Herbstsalon des Gorki-Theaters zum Thema „Flucht“
Fünfmal täglich hört man zur Stunde des Gebets einen islamischen anmutenden Singsang am Palais am Festungsgraben. Gesungen wird der Text des Grundgesetzes, zum Beispiel zum Asylrecht. Diese Installation von Azin Feizabadi erklärt sich selbst.
Nicht weit entfernt liegen in der Spree zwei lebensgroße Skulpturen im seichten Uferwasser. Mit ihnen zitiert die Künstlerin Maria Walcher berühmte Bronzestatuen, die an der kalabrischen Küste vor Riace gefunden wurden, einem Dorf, das viele Flüchtlinge aufgenommen hat. Auf der anderen Seite des Boulevards Unter den Linden schreit jemand die Fassade des Stadtschloss-Neubaus an: „Du bist nicht meine Mutter!!“ Das ist eine Performance von Bankleer, die mit einem überdimensionierten Mikro und einem riesigen Megafon unterwegs sind, um auf der Museumsinsel Interviews mit Denkmälern zu führen.
Es ist wieder Herbstsalon am Gorki-Theater, der zweite seit dem Amtsantritt von Shermin Langhoff im Herbst 2013. Wieder werden das Gorki, das angrenzende Palais am Festungsgraben sowie die Umgebung zwei Wochen lang mit Kunst, Performances und Diskurs bespielt, der Zugang ist gratis.
Acting in Concert
Vieles hat sich verändert seit dem Probelauf vor zwei Jahren, bei dem es noch schwierig war, das neue Format einzuschätzen. Während 2013 vor allem von theatralen Installationen geprägt war, lotet der diesjährige Salon ein breites Spektrum politischer Kunst und künstlerischen Aktivismus aus. Dabei hält das hintergründig verzweigte Konzept eine gute Mischung aus großen Namen wie Harun Farocki, Alfredo Jaar oder Tobias Zielony und Überraschungen bereit.
Wichtig ist aber auch Raum 14, der dafür steht, dass Shermin Langhoff und ihr dreiköpfiges Kurator*innenteam wegwollen vom „Sprechen über“. Der von Hannah Arendt geprägte Begriff des „Acting in Concert“ fällt nicht nur einmal. Konkret heißt das: Der zentrale Ausstellungsraum 14 wird einem Kollektiv der Berliner Flüchtlingsbewegung zur Verfügung gestellt. Unter dem Titel „We Will Rise“ ist dort ausführliches Archivmaterial zum Protestcamp am Oranienplatz, zum Marsch Geflüchteter von Würzburg nach Berlin sowie zur Besetzung der Gerhard-Hauptmann-Schule versammelt. Die Präsentation sieht eindeutig nach Schulfoyer aus, wichtiger aber ist es, dass hier eine Bewegung, die für eine enorme Symbol- und Bedeutungsproduktion sorgte, sich selbst vertritt und nicht nur zitiert wird.
Das Grunddilemma politischer Kunst zwischen Realitätsnähe und der Produktion von ästhetischem Mehrwert aber bleibt bestehen. Der Beitrag von Tobias Zielony für den deutschen Pavillon der Venedig-Biennale bewegte sich schon an dieser Schneide, für seinen Herbstsalonbeitrag „Storyboard (Monuments Man)“ gilt das umso mehr: Der bewegt sich rund um den Themenkontext Raubkunst und Kolonialismus und George Clooney, der für seinen Film „Monuments Men“ im Palais am Festungsgraben gedreht hat.
Aufgewogen werden diese eher nüchternen Dokumentarästhetiken von überraschend spielerischen Formaten, etwa von Wermke/Leinkauf, die im letzten Jahr Schlagzeilen machten, als sie auf der Brooklyn Bridge die weiße Fahne hissten. Für den Herbstsalon gehen sie ihrer Lust am Parcour durch ein fotografisch dokumentiertes Reenactment von Mauerüberwindungstechniken nach.
Absoluter Höhepunkt aber ist bislang die Performance „Garten der Lüste“ von Talking Straight. Wie hier Willkommenskultur als Akt subtiler positiver Gewalt inszeniert wird, wenn die Teilnehmer der Performance Passanten in einer Fantasiesprache willkommen heißen, das ist ein Suggestiverlebnis, aus dem man am Ende wie aus einem Traum erwacht und nicht weiß, ob er gut oder schlecht war oder einfach nur wahr.
Astrid Kaminski
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