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Geflüchtete sollen ohne Mindestlohn ackern

Arbeitgebertag Wirtschaftsvertreter präsentieren ihre Forderungen. Kanzlerin Merkel verspricht schonende Reform der Leiharbeit

Mahnen gehört zum Job: Arbeit­geberpräsident Kramer Foto: dpa

BERLIN taz | Das gibt es für Angela Merkel also auch noch: Auftritte, die der Gastgeber nicht zur Gelegenheit nimmt, die Kanzlerin zurechtzuweisen. Eine halbe Woche nach ihrem Debakel auf dem CSU-Parteitag sprach Merkel am Dienstag auf dem Arbeitgebertag. In Sachen Flüchtlingspolitik hatte sie die Unternehmer grundsätzlich auf ihrer Seite.

Nach wie vor sieht die Wirtschaft in Geflüchteten vor allem potenzielle Arbeitskräfte. „Die Flüchtlinge werden unser Fachkräfteproblem nicht lösen. Sie können die gezielte Zuwanderung nicht ersetzen. Aber wenn wir die Chance nutzen, sie in den Arbeitsmarkt zu integrieren, werden sie eine Bereicherung sein“, sagte Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer, den die Delegierten zuvor für zwei weitere Jahre im Amt bestätigt hatten.

Die Wirtschaft lädt die Kanzlerin aber nicht ein, um ihr den Rücken zu stärken. Traditionell nutzt sie vor allem die Gelegenheit, der Regierung ihre Wünsche vorzutragen. Im Jahr der Flüchtlingskrise ist das nicht anders. „Die Wirtschaft kann die Integration in den Arbeitsmarkt nicht alleine leisten. Die Politik muss die Voraussetzungen schaffen“, sagte Kramer. Zwei dieser vermeintlichen Voraussetzungen betonte der Arbeitgeberpräsident: Sprachkurse und Ausnahmen vom Mindestlohn. Deutschkenntnisse seien der Schlüssel zur Integration. Kramer forderte, dass Flüchtlinge „verpflichtend und unkompliziert an Sprachkursen teilnehmen“ sollten. Die Politik müsse die Mittel zur Verfügung stellen, um Flüchtlingen schneller als bisher die deutsche Sprache beizubringen.

Daneben fordern die Unternehmer, Flüchtlinge billiger beschäftigen zu dürfen. Kramer wiederholte Forderungen anderer Arbeitgebervertreter, den Mindestlohn für Flüchtlinge zunächst auszusetzen. Von einer Sonderregelung könne dabei keine Rede sein: Arbeitgeber dürften Langzeitarbeitslose schließlich schon jetzt ein halbes Jahr lang unter dem Mindestlohn bezahlen. Diese Regel, so Kramer, solle die Regierung auch auf Flüchtlinge anwenden – und die Halbjahresfrist bei der Gelegenheit auch gleich auf zwölf Monate erhöhen.

Merkel versprach nicht, der Wirtschaft in diesem Punkt entgegenzukommen. Dafür signalisierte sie in einem anderen Punkt Unterstützung. Um Flüchtlinge geht es dabei nicht. Die Kanzlerin sagte, sie werde darüber wachen, dass die Regierung bei der Reform von Leiharbeit und Werkverträgen nicht über den Koalitionsvertrag hinausgehe.

Einen entsprechenden Gesetzentwurf hatte Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) vergangene Woche vorgelegt. Merkel will ihn offenbar überarbeiten lassen. Kritikern aus der Wirtschaft hatten behauptet, der Entwurf sehe zu viele Auflagen für Arbeitgeber vor. Den Gewerkschaften geht schon der aktuelle Gesetzentwurf nicht weit genug. Tobias Schulze

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