Berlin trifft Moskau

KINO I Das Programm der heute beginnenden russischen Filmwoche hinterlässt einen ambivalenten Eindruck: Es gibt subtile, kritische Filme wie auch Putin-Werbeschauen

In „Schlacht um Sewastopol“ wird das dramatische Leben der Scharfschützin Ludmila Pawlitschenko weitgehend pathosfrei geschildert Foto: Russische Filmwoche

von Barbara Wurm

Reden wir nun mit Russland oder nicht? In welche Richtung auch immer der tägliche Konjunkturbarometer ausschlägt: Bei der 11. Russischen Filmwoche, die mit dem Kriegsdrama „Schlacht um Sewastopol“ im Kino International eröffnet, gibt es reichlich Gelegenheit, sich darüber Gedanken zu machen, wie Kulturaustausch im „post-crimean age“ überhaupt aussehen könnte.

Kulturpolitisches Minenfeld

Noch vor wenigen Jahren dachte man bei „Berlin–Moskau“ an den Gropius-Bau und Künstler El-Lissitzky, während „Berlin trifft Moskau“ Richtung Treptow, Donkosaken oder die Übersetzungsschablonen des Hauses der Russischen Kultur zu weisen schien. Heute beherrscht eine irritierende Unübersichtlichkeit den Betrieb. Schwer auszumachen, wo diese schlichtweg Realität ist und wo Vernebelungsstrategie.

In diesem Minenfeld kulturpolitischer Diplomatie bewegt sich das Festival, gesponsert von „Gazprom Germania“ schon seit einiger Zeit. Veranstalter ist die Agentur „Interfest“ Renat Dawletjarows, dessen eigene Filme denn auch die Programmkonstante bilden. Die Fantasie-Neujahrskomödie „Unsichtbar“ und das Drama „Die grüne Kutsche“ hat er produziert, bei „Im Morgengrauen ist es noch still“ Regie geführt, wobei es sich entgegen der Ankündigung weniger um eine Neuverfilmung von Boris Wasilijews Erzählung als um ein eher überflüssiges Remake von Stanislaw Rostozkis Anti-Kriegsfilm von 1972 handelt.

Im Zentrum der cineastischen Aufmerksamkeit stehen – dank der ausgewogenen kuratorischen Vor-Ort-Projektleitung von „Interkultura Kommunikation“ und „Mediaost“ – andere Filme. Andrej Sajzews Coming-of-Age-Love-Story „14+“ zeichnet realistisch, mit schlichten Mitteln und ohne Wackelkamera die großstädtische Teenszene. Thematisch schließen hier der Episodenfilm „Glück ist …“ und das Sozialdrama „Die Lehrerin“ (inklusive Schulsystemkritik und Ukraine-Konflikt) an, in seiner subtilen Emotionalität aber ist „14+“ unschlagbar, nicht zuletzt in jener Szene, in der Schüchti Ljoscha wider alle Umstände (harte Glatzkopf-Jungs aus dem Hinterhof vor allem) seine Vika zum Tanz auffordert.

Lief „14+“ mit Erfolg bei der Berlinale, so wurde Alexandr Mindadses deutsch-russisch-ukrainisches Projekt „Lieber Hans, bester Pjotr“, einer der ästhetisch forciertesten Filme des letzten Jahres mit Birgit Minichmayr und Jakob Diehl, bisher weitgehend ignoriert. Das mag mit der Anstrengung zu tun haben, die einem Mindadses’ fragmentarisch dichte Erzählweise wie radikal überhitzte Emo-Sphäre abverlangt. Andererseits aber sorgte schon das Drehbuch für Aufregung: Frühling 1941, kurz vor Hitlers Überfall, werden deutsche Ingenieure zur Entwicklung optischer Linsen in die UdSSR geschickt, die Stimmung ist angespannt, der Krieg steht vor der Tür. Dieses für Mindadse typische klaustrophobische Szenario wollte das russische Kulturministerium anfangs großzügig unterstützen, doch kam man zu dem Schluss, dass hier eine falsche, „antisowjetische“ Optik auf die Geschichte und die Darstellung der Kriegszeit betrieben wird, und zog die Zusagen zurück. Die Aufnahme dieses inszenatorischen Coups in die Filmwoche sendet nun deutliche Signale der Versöhnung.

Den Eröffnungsfilm könnte man als Versuch der Wiederannäherung deuten

Vom Versuch der Wiederannäherung (statt der Forcierung antiwestlicher Ressentiments) lässt sich vor allem im Fall des großartigen Eröffnungsfilms, Sergej Mokritzkijs „Schlacht um Sewastopol“ sprechen. Weitgehend pathosfrei wird hier das dramatische Leben der Scharfschützin Ludmila Pawlitschenko geschildert, die sogar die First Lady, Eleanor Roosevelt, begeisterte. Kontrovers wurde der Film in Russland diskutiert – er steht den patriotischen Auflagen des hochaktuellen Kriegskinos in gewisser Weise entgegen.

Ambivalent bleibt freilich die Hofierung des Putin-Partei-Kandidaten Stanislaw Goworuchin (laute Pro-Krim-Schlachtrufe), der mit „Das Ende der Belle Epoque“ ausgerechnet den 1970er-Dissidenten Sergej Dovlatov verfilmen musste. Vorsicht ist geboten. Auch in die andere Richtung.

Wie heißt es so schön im Abspann von Andrej Proschkins durchaus als Systemkritik lesbarem Film „Orleans“: Die moralisch-ethische Haltung der Tiger Lillies (die den Soundtrack anführen) stimmt mit jener der Autoren nicht überein.

Russische Filmwoche: 25. 11. bis 2. 12.,Kino International, Filmtheater am Friedrichshain, Russisches Haus. Info: www.russische-filmwoche.de