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Schrubben auf Bewährung

Curling Bei der Europameisterschaft im dänischen Esbjerg schlagen die deutschen Männer sogar die Favoriten. Vielleicht wird ihr Sport ja doch weiter gefördert

Putzen bis zur Weltspitze: das deutsche Team um Skip Alexander Baumann Foto: Richard Gray

von Frank Ketterer

Der Samstag war ein ausgesprochen guter Tag für Deutschlands Curler, einer von der Sorte, wie sie ihn schon lange nicht mehr erlebt haben. Am Vormittag waren sie mit einem 3:2-Sieg gegen die Schweiz in die Curling-Europameisterschaften im dänischen Esbjerg gestartet, am Abend dann ließen sie auch noch einen 7:6-Erfolg über Schweden folgen. Die Schweiz, das muss man vielleicht noch wissen, um die wahre Größe der beiden Siege einordnen zu können, war vor zwei Jahren noch Europameister geworden. Die Schweden sind gar amtierender Weltmeister und auch als Titelverteidiger zu dieser EM gereist.

Es war also eine curlingsteindicke Überraschung, die die Deutschen um ihren Skip Alexander Baumann da aufs Eis gelegt haben. Einerseits. Andererseits war es auch eine, die zumindest Bundestrainer Thomas Lips im Vorfeld wohl irgendwie im Gefühl hatte. „Ich traue dem Team zu, eine der Überraschungen bei dieser EM zu werden“, hatte Lips, selbst Schweizer, vorab gesagt.

Lips kennt sich aus mit Curling. Bestens sogar. Als Aktiver war er 2006 selbst Europameister geworden, als Trainer führte er 2012 die Schweizer Frauen zum WM-Titel sowie später die Russinnen zu WM-Bronze und EM-Gold. Vor gut einem Jahr wurde er Bundestrainer. Es ist sein wohl schwierigster Job. Das hat damit zu tun, dass Deutschland zwar mal ganz gut darin war, knapp 20 Kilogramm schwere Granitsteine gut 40 Meter weit über Eis ins sogenannte Haus zu schieben. Allerdings ist dieses durchaus spezielle Können den Deutschen zuletzt etwas abhanden gekommen. Bei Olympia 2014 wurden die Männer Letzter, die Frauen hatten sich erst gar nicht qualifiziert. Die Folge: Vor gut einem Jahr drohte der Deutsche Olympische Sportbund damit, Curling aus der Grundförderung durch das Innenministerium zu streichen. Die Sportart stand damit mehr oder weniger auf der Kippe.

Zumindest zum Teil steht sie da wohl immer noch: Die Förderung, rund 400.000 Euro pro Jahr, ist aktuell zwar gesichert – aber nicht, wie sonst üblich, über einen kompletten Olympiazyklus, sondern immer nur für ein Jahr. Danach wird neu geprüft, bewertet – und entschieden. „Projektförderung“ nennt sich das.

Wenn man so will, curlen Skip Alexander Baumann und seine Mannschaftskameraden derzeit auf Bewährung. Das Ziel für die EM ergibt sich daraus fast von alleine: Mindestens Rang sechs soll es sein, womit die Qualifikation für die WM im April in Basel erreicht wäre, wo wiederum die ersten Qualifikationspunkte für die Olympischen Spiele 2018 in Pyeongchang ercurlt werden können.

Pro Woche muss jeder Athlet mindestens 15 Stunden trainieren

So gesehen sind die samstäglichen Erfolge eine Art Bonussiege, ein kleines Polster. Vor allem aber ist es ein klares Zeichen, dass die Neuerungen, die Bundestrainer Lips und der Deutsche Curling-Verband (DCV) in jüngster Vergangenheit vorgenommen haben, anfangen zu greifen. Nicht nur an der Verbandsspitze gab es zuletzt Veränderungen, unter anderem machte der langjährige DCV-Präsident Dieter Kolb seinen Posten für Bernhard Mayr, einst selbst WM- und EM-Teilnehmer, frei. Zudem wurde mit Markus Tröger ein neuer Sportdirektor installiert.

Auch die Aktiven spüren den neuen Wind. Sie curlen schließlich nicht nur auf Bewährung, sondern auch unter Auflagen. Eine der wohl wichtigsten: Nur Athleten, die streng protokolliert nachweisen können, mindestens 15 Stunden pro Woche zu trainieren, werden noch in den Kader berufen. „Unser Trainingsumfang hat sich deutlich erhöht“, berichtet Manuel Walter. „Man hat uns mehr oder weniger gezwungen, professioneller zu werden“, fasst der Mann vom Baden Hills Golf- und Curling-Club zusammen.

Teil dieser Professionalisierung ist unter anderem auch, dass die deutschen Männer bei der EM in Esbjerg von Andreas Kap gecoacht werden, damit sich Bundestrainer Lips in erster Linie auf die Frauen des DCV konzentrieren kann. Kap war selbst zwei Mal Europameister, auch er kennt sich also bestens aus im Curling. Die beiden Siege zum Auftakt hatte er dennoch „so nicht unbedingt erwartet“.

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