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Archiv-Artikel

Wer ist das Volk?

VERFASSUNGSRECHT Die rot-grüne Koalition will EU-Bürgern das Wahlrecht zum Landtag einräumen

Von KAWE

Alle Staatsgewalt geht vom Volk aus, so lautet das demokratische Prinzip im Grundgesetz. Aber wer ist das „Volk“ in Bremen, wenn mehr als 80.000 der Einwohner nicht die deutsche Staatsbürgerschaft haben? Noch 1990 hatte das Bundesverfassungsgericht geurteilt, dass „Volk“ nur Menschen mit deutschem Pass sein könnten. Diese Entscheidung soll das Gericht überprüfen, finden SPD und Grüne und haben deshalb der Bürgerschaft einen Gesetzentwurf vorgelegt, nach dem auch bei den Wahlen zum Landtag künftig zumindest alle EU-Bürger zum „Volk“ gezählt werden sollen. Das betrifft ca. 24.000 Menschen. Und alle, die über fünf Jahre in Bremen leben, sollen zu den kommunalen Beiräten wahlberechtigt sein – das sind zusätzlich rund 60.000 Menschen.

„Wir sind der Überzeugung, dass die Verfassungsinterpretation von 1990 überholt ist“, erklärte Hermann Kuhn (Grüne). Damals blieben sogar EU-Bürger noch vom kommunalen Wahlrecht ausgeschlossen. „Vor 1918 konnte sich auch kaum jemand vorstellen, dass Frauen Wahlrecht haben“, erläuterte Björn Tschöpe (SPD) den historischen Wandel des Wahlrechts. Die Bürgerschaft wird ihr Gesetz dem Staatsgerichtshof vorlegen, der wird vermutlich das Verfassungsgericht um eine zeitgemäße Klarstellung bitten.

Seitdem EU-Bürger in Bremen kommunales Wahlrecht haben, ist die Stadtbürgerschaft nicht mehr ganz identisch mit der Gruppe der Bremer Abgeordneten im Landtag. Wenn EU-Bürger auch den Landtag wählen können, wäre die „Realunion“ wiederhergestellt. Ob die Wahlrechtsänderung zum nächsten Wahltermin im Jahre 2015 schon greift, hängt von der gerichtlichen Klärung ab. Bremen wäre das erste Bundesland, dass EU-Bürgern ein Wahlrecht einräumt.

In dem Bürgerschafts-Ausschuss, der die Wahlrechtsänderung vorbereitet hat, war der Pressesprecher des früheren CDU-Bürgermeisters Hartmut Perschau, Stefan Luft, als Sachverständiger geladen – er plädierte gegen die Wahlrechtsänderung. Die CDU-Abgeordneten schlossen sich seiner Position aber nicht an, sondern enthielten sich der Stimme.  KAWE