Das Lyrik-Kollektiv 2.0 stellt sich vor
DICHTUNG Die Szene tritt wieder als Gruppe auf: Unter der Kennung G13 touren die jungen Poeten durch Deutschland. Ihr erstes gemeinsames Buch verspricht „40 % Paradies“
Vielerorts macht man sich derzeit über die Zukunft der Literatur Gedanken. Eine Gruppe junger Lyriker aus Berlin belebt währenddessen eine uralte Idee neu: Sie hat sich zu einem Kollektiv zusammengeschlossen. Ihr erstes Buch, „40 % Paradies“, bringt die in ausgefeilten Performances dargebotenen Texte nun zu Papier.
Eine leere Bühne, 14 Stühle. Nach und nach betreten Rebecca Ciesielski, Max Czollek, Paula Glamann, Helene Könau, Tabea Xenia Magyar, Alexander Makowka, Tristan Marquardt, Maria Natt, Can Pestanli, Friederike Scheffler, Lea Schneider, Linus Westheuster, Ilja Winther und Nele Wolter schwarz gekleidet die Bühne. Die Performance der Lyrikgruppe G13 beginnt.
Lyrik im Kollektiv, das klingt erst mal nach Prenzlauer Berg, wo vor der Wende subversiv in Wohnzimmern und Küchen die Lyrikproduktion jenseits der Parteilinie stattfand. Ist die Assoziation gewollt? Hört man Max Czollek, einem der Gründungsmitglieder des Lyrikkollektivs G13 zu, hat sich das eher spontan ergeben: „Wir waren eine Gruppe von jungen Leuten, die sich in Schreibwerkstätten zusammengefunden hat. Irgendwann haben wir dann angefangen, uns bei mir in der Wohnung zu treffen.“
Auffällig bei diesem Zusammenschluss: Die jungen Lyriker, überwiegend in den späten achtziger Jahren geboren, sitzen nicht nur lesend in Wohnzimmern, sondern nutzen auch mit großer Selbstverständlichkeit die Möglichkeiten des Social Web. Neue Gedichte werden im gemeinsamen Blog kommentiert, Termine für Lesungen über eine Facebook-Fanseite annonciert. Lyrik-Kollektiv 2.0 also?
Dramatischer Sog
Die Selbstinszenierung funktioniert auf der Bühne jedenfalls perfekt: In einer durchdachten Dramaturgie werden Gedichte mal im Chor, mal als Dialoge gelesen, ein Text geht in den anderen über, zwischen Summen, Rufen und Flüstern beherrscht das Kollektiv sämtliche Tonlagen. Musikalische Begleitung wie etwa durch den Experimental-Gitarristen Mauro Hertig bricht das Konzept der traditionellen Wasserglas-Lesung weiter auf. Hier sollen Grenzen überschritten werden, so viel ist klar.
Aber funktioniert das Kollektiv auch auf dem Papier? Die Anthologie „40% Paradies“, im Wiesbadener Lyrik-Verlag luxbooks erschienen, ist auf weiten Strecken eine Ernüchterung. „Krumm ist die Luft und schwer nutzbar“, „eine spur noch/bevor ich abdampfe“: Die Verse, die in den gut einstudierten Performances einen dramatischen Sog entfalten konnten, wirken gedruckt erstaunlich leblos. Ein weiteres Problem: Beim Auftritt als Gruppe rücken die individuellen Mitglieder in den Hintergrund. Im Buch können sie problemlos mit ihren inhaltlichen Schwächen identifiziert werden, was einen Großteil der Faszination an der Kollektividee zerstört.
Ein Ausweg aus dem Dilemma gelingt dem Gründungsmitglied Max Czollek: „40% Paradies“ ist seine zweite Buchveröffentlichung seit dem Debütband „Druckkammern“. Czollek, Jahrgang 1987, sucht in seinen Gedichten nach einer eigenen Stimme für die Verarbeitung seiner Familiengeschichte. „er hat gute freunde/wenn es sein muss/denkt er an auschwitz.“ Konzentrationslager, Schoah und Diaspora sind für Czollek als Enkel von Holocaustüberlebenden keine Begriffe aus dem Geschichtsunterricht. Es macht nachdenklich, wenn er Sätze sagt wie „Die deutsche Sprache ist für mich auch heute noch voller Tretminen.“
Aber wo ist der Mittelweg zwischen formalem Experiment und inhaltlichem Anspruch? Das wird das Kollektiv noch klären müssen. FABIAN THOMAS
■ 40% Paradies – Gedichte des Lyrikkollektivs G13. luxbooks, Wiesbaden 2012, 160 Seiten, 24 Euro