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„Ich will ja glücklich sein“

Projekt Großzügig geteilte Verwirrung: Eine Performance von Schorsch Kamerun und Fabian Hinrichs, musikalisch begleitet von DJ Nackt, im Rahmen der „Marx’ Gespenster“ im HAU

Szene aus der Performance von Schorsch Kamerun und Fabian Hinrichs Foto: Dorothea Tuch/HAU

VON Katrin Bettina Müller

Wie sieht das revolutionäre Subjekt aus? Kann man es inszenieren und fotografieren? Hat es eine Fahne in der Hand, à la „Freiheit führt das Volk an“ oder ein Tablet wegen der Vernetzung? Das sieht dann mehr nach Murx als nach Marx aus, kein Schwung im Tableau. Ein Fotograf und eine kunsthistorisch gebildete Beraterin geraten bei der Herstellung von fashionablen Bildern des Aufstands ständig in Streit. „Shoot out“, das ist eine superlustige Videoinstallation von Chris Kondek und Christiane Kühl, die zur Reihe „Marx’ Gespenster“ im HAU-Komplex gehört.

Die Ausgangslage des Films, der 2014 in Bochum entstand, scheint verwickelt. Ein Designmagazin hat einen Modefotografen beauftragt, mit Arbeitslosen aus einem geschlossenen Opel-Werk Szenen des Überlebens ohne Geld nachzustellen, vom Tauschen, Besetzen, Klauen und Saufen etwa. Die Kunsthistorikerin liest Marx vor, wie er Deutschland in Schnaps- und Weinregionen einteilt, Erstere zu besoffen für die Revolution, Letztere geistig beflügelt. Bald stellt sich heraus, dass die sogenannten Arbeitslosen, engagiert als Garanten des Authentischen, Laienschauspieler sind, die mal einen Job brauchten. Die Bildvorstellungen des Fotografen sind alle so 19. Jahrhundert wie die Kulisse der stillgelegten Industrie, was die Beraterin äußerst spitz und zickig kommentiert. Nichts als romantische Verklärung des Proletariats und der Revolution. Das Team verkracht sich hoffnungslos.

Am Mangel an Authentizität leiden auch Fabian Hinrichs und Schorsch Kamerun in ihrer Performance „Ich habe um Hilfe gerufen. Es kamen Tierschreie zurück“, uraufgeführt im Hebbel-Theater. Und das betrifft sie schon, wenn sie von sich erzählen, als ob das Künstlertum ihr Leben selbst zum Fake gemacht hätte. „Wie lassen sich unsere Biografien aufführen, ohne zum Piepen sein“, singt Kamerun, und Hinrichs fragt, nachdem er ein Kurzreferat über die Jugendstil-Architektur des Hebbel-Theaters gehalten hat – „das im Krieg am wenigsten zerstörte Theater Westberlins“: „Können wir das auch über unsere Biografien sagen?“

Man erwartet von den beiden Künstlern ziemlich viel, das Eigenbrötlerische mit dem Klugen zu verbinden, vom Detail durch eine gelungene sprachliche Wendung auf den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang zu kommen. Tja, aber weil Erwartungsdruck schon eins von diesen Dingen ist, die im Kapitalismus das eben noch sich selbst erforschende Subjekt in eine Ware verfremden, lassen sie die Erwartungen erst mal auflaufen. Ihr Ko-Musiker PC Nackt hämmert aufs Klavier, Schorsch Kamerun hämmert auf eine Trommel und das Holz des Bühnenbodens, Fabian Hinrichs spielt Gitarre, der Ton wirkt schrundig, das geht so über eine halbe Stunde. Bis Kamerun singt: „Ist das jetzt nur eine Phase oder provokantes Spiel.“

Man erwartet, die Künstler verbinden das Eigenbrötlerische mit dem Klugen

Dann kommt was anders, nämlich ein langes Sprechsolo Hinrichs. Erst liest er von einem Zettel ab, Hilferufe, Dramen in einem Satz, Schlagzeilen, ein Wust von Skizzen und Leben, abgefischt aus allen Medien. Der Raum ist damit aufgeladen mit imaginierten Menschen, wenn er über sich oder ein Ich erzählt, das die Träume vom Lernen abgehalten haben. „Ich wollte alles Mögliche und habe meine Zukunft falsch eingeschätzt.“ Was das alles mit Marx zu tun haben könnte, fragt sich Hinrichs Figur schließlich auch, „Goethe und Marx kamen auf der Schule nicht vor“, aber „ich will ja glücklich sein und kann das nicht, wenn andere leiden“, denkt er laut, und da könnte Marx vielleicht doch helfen. Aber Kommunismus, bevor er da jetzt einsteigt, kommt ihm doch ein anderes Bild dazwischen, von den Besuchern in Nationalparks und warum sie wohl so zufrieden sind, vor Löwen und Wölfen zu stehen.

Dieses Schlingern zwischen Haupt- und Nebengedanken, diese Bereitschaft zur Ablenkung macht wuschig im Kopf. Im Teilen der Verwirrung, sind beide Künstler großzügig an diesem Abend. Kamerun zählt seine Reisen auf, derweil eine Tanzgruppe aus Minsk Fahnen schwenkend (!) auftritt, ein folk­loristischer Rest von Revolutionsästhetik. Usbekistan, Marokko, Portugal, Litauen, Minsk, singt Kamerun und stellt im Spiegel fest, seiner Großmutter immer ähnlicher zu sehen, hilft das jetzt bei der Identitätsfindung? Die Musik von PC Nackt wird immer lauter, der Künstler muss brüllen, wir verstehen dennoch wenig, bald ist Schluss. Marx blieb da selbst als Gespenst sehr flüchtig.

Wer mehr Klarheit suchte, konnte dann noch ein wenig in Phil Collins Videoinstallation „marxism today (prolog)“ schauen, die auf Gesprächen mit ehemaligen Lehrerinnen des Marxismus-Leninismus in der DDR beruht. Teils spürt man noch ihre Begeisterung für die Teilhabe an einem modernen und gerechten Leben, an das sie als Studenten geglaubt haben, und erfährt von ihrer meist harten Neuorientierung nach der Wende. Die Erzählungen sind nur kurz, und doch lassen sie Hoffnungen, Wünsche, Illusionen und Täuschungen äußerst plastisch werden, ein empathischer Blick auf gescheiterte Utopien, unterlegt auch mit spannendem Archivmaterial aus alten Schulungsfilmen. An diesen Geschichten kann man sich festhalten, wenn einem nach Hinrichs und Kamerun schwindelt.

„Ich habe um Hilfe gerufen“, heute um 20 Uhr im HAU 1. Die Installationen von Kondek/Kühl und Phil Collins sind Di. + Mi. von 19 bis 23 Uhr zu sehen

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