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Archiv-Artikel

ein grausiges hobby von RALF SOTSCHECK

Dublins Hauptpostamt in der O’Connell Street ist ein imposantes Gebäude. 1916 riefen die Rebellen dort die Republik aus und wurden von den englischen Besatzern dafür hingerichtet. Heutzutage toben die Schlachten um Briefmarken, vor den Schaltern in der Haupthalle bilden sich jeden Tag lange Schlangen.

Vom Foyer geht links aber eine andere Tür ab, die zu einer Oase der Ruhe führt – zum philatelistischen Büro. Dort bekommt man auch Briefmarken, aber nicht die alltäglichen mit den Vogelmotiven. Wer möchte in diesen unsicheren Zeiten schon Falken, Bachstelzen oder Amseln anlecken? Womöglich bekommt man davon die Vogelgrippe.

Im philatelistischen Büro verkaufen sie schöne, große, bunte Marken, auf denen Eisenbahn-Viadukte, historische Rundtürme oder der grübelnde Einstein abgebildet sind. Die Sache hat nur einen Haken: Man muss die Briefmarkensammler in Kauf nehmen, die im philatelistischen Büro herumlungern und darauf lauern, mit Fremden über ihr grausiges Hobby zu diskutieren.

Ben kenne ich bereits, denn er scheint hier zu wohnen. Er weiß inzwischen, dass ich ein Amateur bin, der die schönen Marken tatsächlich auf Briefe klebt, statt sie mit der Pinzette hinter eine lichtundurchlässige Plastikfolie zu schieben. Ben hat sich auf Flugzeugkatastrophen spezialisiert. Das heißt, er sammelt Post, die sich an Bord eines Flugzeugs befand, als es abstürzte. Er habe ein paar sehr schöne Briefe aus der Pan-Am-Maschine, die 1947 im westirischen Shannon verunglückt ist. Seit Jahren ist er hinter einem Brief oder wenigstens einer Ansichtskarte her, die sich in dem Flugzeug befand, das über dem schottischen Lockerbie von einer Bombe zerrissen wurde. Ein morbides Hobby.

Aber nein, versichert Ben. Er habe die Flugzeuge ja nicht abstürzen lassen. „Die sind völlig ohne mein Zutun heruntergekommen, und es waren historische Ereignisse“, sagt er. „Außerdem bin ich nicht der Einzige, der so etwas sammelt.“ Vor neun Jahren ist die internationale „Wreck and Crash Society“ gegründet worden, deren Mitglieder alles sammeln, das mit Flugzeug-, Eisenbahn- und Schiffskatastrophen zusammenhängt.

Dagegen klingt Cathals Hobby harmlos: Er sammelt die maritimen Poststempel Irlands im späten 19. Jahrhundert. Peter ist hinter Pilzmarken her. Und Connor Steckenpferd ist Katapultpost. Das ist Post, die von einem Flugzeug transportiert worden ist, das von einem dampfgetriebenen Katapult auf einem Schiff gestartet wurde. Ein begrenztes Sammelgebiet: Die erste Katapultpost gab es 1928, die letzte Anfang der Dreißigerjahre.

Einmal konnte ich vor den Experten mit meinem philatelistischen Wissen angeben. Ob einer von ihnen die irische 24-Cent-Marke von 1867 besitze, fragte ich. In Irland herrschten damals die Briten, höhnten die Experten, und die haben bis heute ihre Pence. Cent-Marken gebe es in Irland erst seit dem Euro. Das stimme nicht ganz, entgegnete ich: Die 24-Cent-Marke sei von den Feniern gedruckt worden, einem Geheimbund, der den Umsturz plante und für die Zeit danach offenbar alles bis ins Detail durchdacht hatte, sogar die Einführung des metrischen Systems. Nur eins vergaßen sie: die Briten aus dem Land zu jagen. Die 24-Cent-Marke kam nie in Umlauf.