Krieg der Nullen

JUGENDTHEATER Den Neonazis beim Prügeln, Saufen und Brüllen zuschauen: Das Stück „Kriegerin“ im Grips bleibt eindimensional und hinter den Möglichkeiten des Theaters zurück

Markus (L. André Blazejewski, u.) will aussteigen, Sandro (Paul Jumin Hoffmann) lässt ihn nicht Foto: David Baltzer

von Katrin Bettina Müller

Es ist nicht so einfach, eine Null zu verkörpern. Einen dummen Neonazi, der deutschtümelnde, fremdenfeindliche Sprüche aneinanderreiht, Frauen an die Brüste fasst und Schwächere gern mit Tritten traktiert. In der neuen Inszenierung des Gripstheaters, „Kriegerin“ nach dem gleichnamigen Film von David Wnendt, wimmelt die Bühne von solchen Figuren – angespannten, angestrengten Körpern, die wenig verbindet außer Hass und Lust an der Gewalt.

Weil man weiß, dass die zunehmende Präsenz von Rechtsradikalen in der Öffentlichkeit und im Verborgenen ein immer größeres Problem in unserer Gegenwart ist, ist die Erwartung groß an diese dramatische Erzählung über eine faschistische Jugendgang und die kleinen Funken eigenen Denkens, die zwei von ihnen, Marisa und Markus, schließlich zu Zweifel und Distanzierung finden lassen. Wichtig scheint das Stück, weil es einen wunden Punkt der Realität, der Gesellschaft berührt. Und erhält nicht ein anderes Theater, die Schaubühne, wegen der Pediga-Kritik und AfD-Karikaturen in einem Stück von Falk Richter gerade Hassmails bis hin zu Morddrohungen?

Aber dann sitzt man dicht gedrängt auf den Bänken im Grips und leidet an der Unbeholfenheit und Eindimensionalität der Darstellung. Schauspieler und Schauspielerinnen pumpen ihre Körper wie im Fitnesstraining auf, werfen sich hart und aggressiv in die Rollen der Neonazis und kaum anders in die ihrer Gegenspieler – gebildet von einer Gruppe junger Parcoursläufer und von den beiden Brüdern Jamil und Rasul, die als Geflüchtete gerade angekommen sind. Als ob der begrenzte geistige Horizont der Jungens und Mädchens, die den Stuss ihrer Anführer nachquatschen, der Inszenierung höhnisch einen Stempel aufgedrückt hat. Und sich das schauspielerische Vermögen der Differenzierung vor lauter Prügeln, Saufen und Brüllen vor Angst verkrochen hätte.

Verstehen unmöglich

Das war sicher nicht die Intention von Regisseur Robert Neumann und der Stückautorin Tina Müller. Beide erzählten in Interviews, wie sehr das Wissen, dass die rechte Szene Zuwachs hat, bei der Arbeit am Stück alle belastet habe. Tina Müller benannte dabei auch ein Problem: „Eine der wichtigsten Erkenntnisse ist wohl, dass ich auch nach dieser intensiven Recherche nicht in der Lage bin, mich in den Kopf eines Neonazis zu versetzen. Ich kann noch so lange versuchen, einen tief liegenden, wahren Grund dieses Hasses zu erfassen, ich finde nichts, was ihn rechtfertigt.“ Das ist womöglich ein Grund, warum die Figuren so flach wirken und auch unglaubwürdig in ihrer Beschränktheit.

Diese Sprache lässt nichts wachsen im Hirn, sie sperrt alles in kleine Kästchen

Geil tanzen

„Könntet ihr geil tanzen, würdet ihr tanzen. Könntet ihr sonst einen Scheiß, würdet ihr wenigstens diesen Scheiß machen“, hält Markus, als er sich von der Gruppe zu lösen versucht, ihnen vor: „Aber wir sind eine Horde Nullen. Wir können nix. Wir können nur deutsch sein und sonst nichts.“ Das ist eine der wenigen Szenen, in denen einer Figur aus der Bewegung der Distanzierung die Fähigkeit zu Reflexion und Ausdruck erwächst.

„Kriegerin“ besteht aus vielen Dialogen, in denen es um Erniedrigung und Demütigung geht. Und es scheint, als ob die Sprache selbst dabei erniedrigt und gedemütigt würde, zurechtgestutzt auf Floskeln und Schmähungen. Diese Sprache lässt nichts wachsen im Hirn. Sie kastelt alles in kleinteilige Muster der Wiederholung ein. Sie verengt die Wahrnehmungen, sie lässt die Gefühle ohne Ausdruck. Sie hängt sich bleischwer der Inszenierung selbst ans Bein und öffnet keinen Horizont darüber hinaus.

Aufführungen: 13., 24., 25., 26. 11.; weitere im Dezember