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„Die Ohren kann man nicht schließen“

Klangkunst Hupen, Minibusse, Straßenverkäufer, telefonierende Menschen – für den Klangkünstler Emeka Ogboh ist dies der Soundtrack der Stadt. Als DAAD-Stipendiat lebt der Nigerianer seit einem Jahr in Berlin

von Fanny Kniestedt

An der Glaswand, durch die man in den spartanischen weißen Ausstellungsraum der ifa-­Galerie gucken kann, lümmelt ein stattlicher Mann. „Ich bin so müde. Ich brauch echt Urlaub“, gesteht Emeka Ogboh. Den kommenden Monat fahre er in die USA, um mal wieder so richtig mit dem Auto zu crui­sen und die Familie zu besuchen. Bewaffnet mit Kamera und Mi­kro­fon, streift der Nigerianer ansonsten vor allem durch die Mega-City Lagos und dokumentiert so mit dem flüchtigen Medium des Klanges eine der dynamischsten Städte der Welt. Als DAAD-Stipendiat lebt er nun seit einem Jahr in Berlin.

Freiheit der Interpretation

Der 1977 geborene Nigerianer gesteht: „Ich habe nie wirklich eine Botschaft. Ich überlasse es demjenigen, der sich meiner Kunst aussetzt, was er aus ihr zieht“, so Ogboh. „Geräusche und Sounds – das ist etwas sehr Intrinsisches und damit sehr Individuelles. Augen kann man schließen, Ohren nicht.“

Der knapp zwei Meter große Mann studierte am Fine and Applied Art Department in Lagos. In seinen Installationen fängt er nicht nur die Dynamik ein (vor allem die in Lagos), sondern dokumentiert auch jene Veränderung, die so flüchtig ist wie das Medium, mit dem er arbeitet. Es gehe ihm vor allem um die Schwingungen, so der 36-Jährige. Er reiht sich in die Riege moderner afrikanischer Künstler*innen ein, die Teil eines neuen Identitätsdiskurses sind.

In Ogbohs Arbeiten geht es zwar hauptsächlich um Lagos – doch in internationalen Ausstellungen trägt er den Sound der Stadt und damit auch den Diskurs über Identität in die Welt. Erst dieses Jahr forderte er mit seiner Installation bei der Biennale in Venedig die deutsche Gesellschaft zum Denken heraus und übertrug die deutsche Nationalhymne in zehn indigene afrikanische Sprachen, die von in Berlin lebenden Migrant*innen eingesungen wurden.

Berlin ist viel zu leise

Auf Einladung des DAAD-Künstlerprogramms lebt er nun seit fast einem Jahr in Berlin. Und seitdem drehe sich hier alles um Migration. Das sei schon sehr auffällig, sagt er. Für die Galerie Wedding hat er daher eine Ausstellung mit dem Titel „No Food For Lazy Men“ konzipiert, die sich mit Vorstellungen und Realitäten von Mi­gra­tion anhand von Essensgewohnheiten beschäftigt. „Natürlich beeinflusst die politische Situation meine Kunst – auch wenn ich weder für mich noch für diejenigen, die sich meiner Kunst aussetzen, irgendwas vorgeben möchte“, stellt er klar.

Momentan arbeitet er mit dem Gorki-Theater an einer Instal­lation für den 2. Berliner Herbstsalon. Auch hier geht es um Migration und darum, warum Menschen nach Berlin fliehen. Vor allem geht es aber um Grenzen. Auch um solche, die manchmal fast unsichtbar sind, also Kriterien für Gruppenzugehörigkeit.

„Ich denke, in Afrika geht alles viel schneller“, sagt Okboh, „jeder spricht mindestens drei Sprachen. Wir haben einfach ein paar andere Kriterien, wenn es darum geht, zu wissen, zu welcher Gruppe wer gehört“. Vielleicht passt diese Sichtweise mittlerweile besser in die globale Welt. Und so ist es ein Nigerianer, der in Berlin, wo der Kontinent 1884 bei der Westafrika-Konferenz nach europäischen Kriterien aufgeteilt wurde, afrikanische Perspektiven nach Europa trägt.

Soundtechnisch sei die Stadt allerdings nicht wirklich reizvoll für ihn, gesteht er. Europäi­sche Städte könnten einfach nicht mit afrikanischen mithalten. Berlin sei viel zu leise, findet er. Wahrscheinlich fühlt er sich deshalb in Kreuzberg am wohlsten. „Aber Berlin ist trotzdem reizvoll, nur nicht akustisch. Ich finde es zum Beispiel klasse, dass ich hier sogar nigerianisches Essen finde, wenn ich mal Heimweh bekomme. Die Vielfalt ist enorm. Das finde ich super!“

Nun stellt er in der ifa-Galerie sein neustes Werk, „Playback“, vor, das er für das neue Gebäude für Frieden und Sicherheit der Afrikanischen Union kreiert hat. Seine dezente Soundcollage mit dem Thema „Unity in Diversity“ soll ab 2016 sowohl den Garten als auch die Gänge des Gebäudes beschallen.

Stimmen des Gewissens

„Die Universalität, das Flüchtige, das Individuelle, das Zeitlose – all das steckt in Emeka Ogbohs Arbeit. Genau das schien uns gerade in Hinblick sowohl auf den Charakter des Kontinents, wo Wandel und Dynamik elementare Bestandteile von Identität sind, als auch auf die Mission, die das Gebäude für den afrikanischen Kontinent erfüllen soll, passend“, sagt N’goni Fall – und begründet somit die Entscheidung der 5-köpfigen Jury, der sie als senegalesische Architektin und Kuratorin angehört.

„Für viele ist es nur Lärm. Ich sehe darin ein Musikstück der Stadt“

Auch bei dieser Installation bedient sich Emeka Ogboh, wie in Venedig, einer Hymne, nämlich die der Afrikanischen Union. Er lässt sie in 17 nicht kolonialistischen Sprachen als Soundcollage erklingen. „Auf einem Kontinent, der um die 2.000 Sprachen beheimatet, ist die Sprache ein starkes Bild für Vielfalt. Die Hymne der Afrikanischen Union, das Lied zu einem recht abstrakten Gruppenkonstrukt, wird in der eigenen Sprache viel persönlicher. Und die Botschaft der Einheit, das, worum es im Text geht, wird zur persönlichen Sache.“, erklärt er.

Nicht nur die Hymne hat er zu einer Soundcollage verarbeitet, sondern auch die Ansprachen der Gründungsväter, die zur Festzeremonie der Vorgängerorganisation OAU 1963 sprachen. Nach langer vergeblicher Suche in Archiven überall auf dem Kontinent fand er die Aufnahmen schließlich bei äthiopischen Radiosendern. Durch das Archivieren kann man nun im Sinne des Titels seiner In­stallation wortwörtlich „zurückhören“, über Generationen und Kontinente hinweg – und die ambitionierten Ziele, die immer noch die gleichen sind, als Referenz nehmen, um auf die nächsten 50 Jahre zu blicken.

Erinnerungskultur

„Diese Monumente, diese Kulte um eine Person, eine Nation, wie sie im stalinistischen Stil von den alten Machthabern zelebriert wurden – das schien uns einfach nicht zeitgemäß“, so ­N’goni Fall. Die Stimmen von damals sollen die heutigen Mit­arbeiter*innen an den Ursprungsgedanken der Afrikanischen Union erinnern, während sie für Sicherheit und Frieden durch die Gänge zu ihren Arbeitsplätzen laufen.

Ob musikalisch durch die Hymne oder politisch durch die Reden – einend an Emeka Ogbohs Werk ist vor allem das: die Vielfalt. In diesem Fall die Vielfalt der Sprache und der Sprachen. „Wenn wir verstehen, dass Vielfalt etwas Gutes ist“, stellt der Nigerianer klar, „dann kann auch Sprache nicht mehr als etwas empfunden werden, was uns trennt.“

Die Ausstellung „Playback“ von Emeka Ogboh ist noch bis zum 10. Januar 2016 in der ifa-Galerie Berlin zu sehen

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