: Ganz ausgezeichnete Fußballfans
Liebe Als der 1. SC Göttingen 05 pleite ging und aus dem Vereinsregister gestrichen wurde, machten die Fans einfach weiter mit dem Fan-Sein. Jetzt haben sie für ihr Engagement den Julius-Hirsch-Preis bekommen
Der 1. SC Göttingen 05 war mal eine gute Fußballadresse. In den 1960er-Jahren schaffte es der Verein dreimal beinahe in die Bundesliga. 1974 war er Gründungsmitglied der 2. Liga und spielte dort insgesamt vier Jahre. 2001 gelang noch einmal der Aufstieg in die 2. Liga, aber 05 erhielt vom Deutschen Fußballbund (DFB) keine Lizenz, geriet in finanzielle Turbulenzen und musste schließlich Konkurs anmelden. 2003 wurde der Club aus dem Vereinsregister gestrichen und erst seit der Saison 2013/14 wird wieder unter dem Namen 1. SC Göttingen 05 Fußball gespielt. Doch so schlecht es dem Verein auch ging – die Fans blieben erstklassig.
Nach der Insolvenz, als 05 eine Saison nicht spielberechtigt war, entwickelten Anhänger bei einem Kummer-Besäufnis die Idee, sich mieten zu lassen – für ein Bier und eine Bratwurst pro Fan. Die damaligen Niedersachsen-Ligisten Germania Leer und MTV Wolfenbüttel orderten Unterstützung in Göttingen. Auch die Deutsche Post bat um akustische Hilfe für ein Hallenturnier. Berührungsängste hatten die Göttinger Fans nicht, nur für den alten Konkurrenten Eintracht Braunschweig mochten sie auch auf Bestellung niemals jubeln.
Die Göttinger Fans gaben außerdem ein Magazin heraus, produzierten für den Bürgerfunk des Stadtradios eine eigene Sendung und gestalteten einen ansprechenden Internetauftritt. Sie holten die Ausstellung „Tatort Stadion“ ins Rathaus, die Gewalt in den Arenen und die Rekrutierungsversuche von Neonazis unter Fußballfans anprangert. Und sie schlossen sich dem Bundeskongress Aktiver Fußballfans an, dem Dachverband von Faninitiativen aus ganz Deutschland, die gegen Rassismus und zu viele Sitzplätze in den Stadien angehen.
Die Fans beseitigen regelmäßig Müll und Dreck am Mahnmal der Göttinger Synagoge. Sie greifen nach eigenen Angaben auch ein, „wenn sich Menschen zum Feiern unter den Gedenktafeln der von den Nazis verschleppten und getöteten Göttinger Juden versammeln“. Zuletzt recherchierte und publizierte der Fanclub Supporters Crew 05 die Geschichte des jüdischen Fußballers Ludolf Katz. Er wurde 1934 nach fast 15-jähriger Mitgliedschaft vom Verein Göttingen 05 ausgeschlossen.
Für dieses Engagement erhielten die Supporters in diesem Jahr vom DFB den Julius-Hirsch-Preis, der an den jüdischen Nationalspieler Julius Hirsch erinnert. „Mit der Auszeichnung der Göttinger Supporters Crew betonen wir eine Kernaufgabe des Preises - die Erinnerung an jüdische Fußballer wachzuhalten, an ihre Verdienste und dabei nie die Gräuel ihrer Verfolgung zu vergessen“, sagte DFB-Präsident Wolfgang Niersbach. RP
Stadt Göttingen, jüdische Gemeinde, 05-Fans und andere Initiativen gedenken heute der Pogromnacht 1938 „Verdrängt - Vertrieben - Vergessen“: 18 Uhr, Platz der Synagoge, Göttingen
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