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StadtgesprächVon Ängsten und Elchen

Schweden will vermeiden, dass aus Deutschland weiterziehende Flüchtlinge über die Ostsee kommen

Reinhard Wolff aus Stockholm

Schweden gilt als besseres Land für Asylsuchende als Deutschland“, zog am Donnerstagabend ein Reporter in der Tagesschau des schwedischen Fernsehens eine Bilanz aus Gesprächen, die er in Rostock mit Flüchtlingen geführt hatte. Die warten dort auf einen Platz auf den Ostseefähren ins schwedische Trelleborg. Einige Tausend sollen es sein und sicher werde ihre Zahl mit den neuen deutschen Asylverschärfungen eher weiter ansteigen, so erfuhren die schwedischen TV-Zuschauer.

Innenminister Morgan Johansson trat am gleichen Tag vor die Presse mit der Botschaft: „Bleibt in Deutschland!“ Schweden könne Flüchtlingen keine Unterkunftsmöglichkeit mehr garantieren. Wer in Deutschland oder Österreich ein Dach über dem Kopf habe – und sei das auch nur ein Zeltdach –, solle das nicht aufgeben. Denn das sei möglicherweise immer noch besser als das, was ihn in Schweden erwarte. „Denen, die nun an unsere Grenze kommen“, so der Minister, „können wir womöglich nur noch die Alternative bieten: Sucht euch selbst eine Unterkunft oder kehrt nach Deutschland zurück.“

Dass sich die schwedische Regierung jetzt zu solcher Symbolpolitik veranlasst sieht, die man vor wenigen Wochen noch weit von sich gewiesen hatte, stößt sowohl auf Zustimmung als auch auf Kritik, nicht aber auf Verwunderung. Wie sich die Situation im Laufe des Oktobers entwickelt habe, sei eben „außergewöhnlich“, verteidigt sich der Minister selbst. Allerdings sei sie auch nicht so verzweifelt wie von ihm geschildert, meint das sozialdemokratische Aftonbladet, wenn auch „zweifellos kritisch“. Und in der linksunabhängigen ETC heißt es, dass der „dämpfende Effekt“, den sich die Regierung von derart bewusst dramatischen Botschaften erwarte, zwar vermutlich wirkungslos bleiben werde. Aber tatsächlich müsse versucht werden, einen Zusammenbruch des Aufnahmesystem zu verhindern. Denn das würde ausländerfeindlichen Kräften in die Hände spielen.

Steht Schweden also noch längst nicht an der Grenze seiner Unterkunftskapazitäten, so knirscht es im administrativen System immer deutlicher. Einerseits beschweren sich Kommunen, schon vor Wochen Plätze eingerichtet und vorbereitet zu haben, ohne dass die angekündigten Flüchtlinge kämen. Andererseits mussten in den letzten Nächten jeweils fast 100 Asylsuchende auf Matratzen im Foyer und auf den Gängen des Zentralbüros der Einwanderungsbehörde in Norrköping übernachten, weil man trotz Überstunden und Wochenendschichten mit der Registrierung und Verteilung der wöchentlich rund 10.000 Asylsuchenden nicht nachkommt.

In Malmö wurden für die Wartenden Zelte aufgestellt. Zu den schon vor Wochen angekündigten Zeltstädten als mittelfristige Bleibe musste man bislang aber nicht greifen. Stattdessen werden Flüchtlinge aber teilweise mit recht ungewohnten Unterkünften konfrontiert: Feriendörfer mit Blockhäusern mitten in den dichten Wäldern der Provinz Dalarna. Da mögen deutsche TouristInnen gerne ihre Sommerferien verbringen, doch für syrische Flüchtlinge im Winter ist das nicht vergleichbar. Die Umgebung verängstigte eine Ladung Flüchtlinge aus Aleppo so sehr, dass sie sich drei Tage lang weigerten, die Busse zu verlassen: Bären, Wölfe und Elche gebe es doch da, der Wald sei gefährlich für ihre Kinder und weit und breit sei kein Dorf, begründeten sie ihre Weigerung. „So war es schon in den 1990er Jahren, als 600 Balkanflüchtlinge hierherkamen“, erinnert sich Erik, ein einheimischer Lehrer: „Das gibt sich, sie gewöhnen sich da schnell ein und ihnen gefällt es dann sogar.“

Und vielleicht gibt es ja auch noch andere Wohnlösungen, meint die migrationspolitische Sprecherin der mitregierenden grünen Miljöpartiet, Magda Rasmusson: Die SchwedInnen sollten nicht nur „ihre Herzen öffnen“ – so ein mittlerweile geflügeltes Wort des konservativen Ex-Regierungschefs Fredrik Reinfeldt aus dem Wahlkampf des letzten Jahres –, „sondern auch ihre Wohnungen“: ein leerstehendes Zimmer an einen Flüchtling vermieten. Die Miete könne der Staat zahlen.

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