piwik no script img

Wie Freud die Frauen zum Rauchen bringt

Kino Dokumentarfilm als Trash-Pop: Das HAU 1 lädt heute und am Samstag zum „Adam Curtis Weekend“ zu Ehren des britischen Filmemachers

Befragt zu einer seiner Doku-Serien aus dem Jahr 2011 für den britischen Fernsehsender BBC Two, „All Watched Over by Machines of Loving Grace“, erklärt der britische Filmemacher Adam Curtis dem Magazin The Wire: „Trash-Pop, das ist alles, wofür ich mich interessiere. In meinen Filmen tritt mein innerer DJ zum Vorschein. Ich reiße mir alles unter den Nagel, was mir gefällt.“

Die Filme, die unter diesen Vorzeichen entstehen, sind wilde und komplexe Collagen. Und ihre Sujets stehen nicht selten in Widerspruch zu dem, was sich in Curtis’ Selbstanalyse so launig liest. „All Watched Over by Machines of Loving Grace“ etwa arbeitete sich über drei Episoden an der Frage ab, in welcher Weise Computertechnik Einfluss auf Weltsicht und Wesen des Menschen nehme.

Curtis mäandert von der rechts­konservativen Autorin Ayn Rand über Monica Lewinsky, vom Kybernetiker Norbert Wiener bis hin zum Biologen Richard Dawkins. Eine nostalgisch-autoritäre Dokumentarfilm-Stimme (Curtis selbst) erledigt dabei die Aufgabe des roten Fadens. Schweigt sie und ist auch im Archivmaterial nichts Wesentliches zu hören, dann wird Curtis tatsächlich zum DJ und spielt Burial, Kraftwerk oder Pino Donaggio über die Bilder. Manchmal auch Richard Wagner.

Das HAU hat den britischen Filmemacher nun für ein Wochenende zu einem „Adam Curtis Weekend“ geladen. Zwei Gesprächsrunden wird es in diesem Rahmen geben. Freitagabend bitten die beiden Regisseure Christoph Hochhäusler und Nicolas Wackerbarth aus Anlass einer „Revolver Live!“-Ausgabe zur Diskussion zum Thema „On the Invisibility of Modern Power“. Und am Samstag trifft Curtis auf Mark Fisher, ebenfalls Filmemacher.

Als audiovisuelle Grundlagen werden zwei Doku-Serien präsentiert: „Bitter Lake“, Curtis‘ jüngste Produktion für BBC iPlayer, die sich auf radikal-experimentelle Art von verschiedenen (Macht-)Positionen aus dem Land Afghanistan nähert; und das vierteilige „The Century of the Self“ aus dem Jahr 2002.

Dabei deutet vor allem die Überschrift „On the Invisibility of Modern Power“ zum „Revolver Live!“-Abend auf einen wichtigen Aspekt, wenn nicht gar den Aspekt in Curtis’ Arbeit hin. Denn Curtis interessiert, wie sich Agenden verschiedener Regierungen mit- und ineinander verschränken, er möchte die Unterströme politischer und ökonomischer Entscheidungen sichtbar machen, die sich dem Blick der Öffentlichkeit allzu leicht entziehen. Und er erzählt von Missbrauchsfällen gigantischen Ausmaßes.

Besonders eindringliche Bilder hierfür findet Curtis in „Century of the Self“, wo er sich auf Sigmund Freuds Psychoanalyse stürzt. Er spürt dessen Neffen Edward Bernays im New York der 20er und 30er Jahre nach, Vater der Positivpropaganda Public Relations, und zeigt, wie dieser mithilfe Freud’scher Konzepte der Tabakindustrie den Weg zu einer neuen, bisher nicht in Betracht gezogenen Zielgruppe – den Frauen – bahnte.

Bernays Marketingstrategien liegen bestimmte Dynamiken zugrunde, die der Acker des Adam Curtis sind, auf dem er gräbt und sammelt. Und auf dem er Dinge zutage fördert, die manchmal so absurd anmuten, dass man lachen muss. Oder weinen?

Die folgenden Bilder beherrschen schreiende, boxende Menschen: Selbsterfahrungstrips, willkommen in den Siebzigern. Episoden psychischer Entfesselung, unterhaltsame Schnipsel, denen Curtis alsbald Insignien der Macht, des Markts gegenüberstellt, die sagen wollen: Auch diese neue Etappe des Selbst weiß der Kapitalismus auf perfide Weise für sich auszunutzen. Zwischendurch puckert immer mal wieder ein wenig Moog-Musik von Raymond Scott. Carolin Weidner

Infos: www.hebbel-am-ufer.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen