Ohne Stalin und Mao geht es einfach nicht

DEMO ALT Zur Kundgebung der Traditionalisten kommen Tausende, schwenken rote Fahnen, legen Nelken nieder – und schimpfen über die „Spalter“

Ganz vorne läuft Klaus Meinel, mehrere Pullover unterm blauen Anorak, hinter ihm das große, rote „Niemand ist vergessen“-Transparent. Meinel zieht an seiner Zigarette, dreht sich um. „So wie ich das sehe, hat uns die Gegendemo nicht geschadet.“ Gut 10.000 Leute zählt Meinel: „So viele wie lange nicht.“

Seit Jahren meldet der 63-jährige DKP-Mann die Demo an, die an die 1919 von rechten Freikorps ermordeten Sozialisten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht erinnert. Nun wird parallel im Tiergarten demonstriert, „ohne Stalin- und Mao-Kult“, den die Kritiker Meinel und Co. vorwerfen.

Auf der Frankfurter Allee das bekannte Bild der letzten Jahre: rote Fahnen, getragen von Linken und Kommunisten aller Art. Man beschwört den Klassenkampf, fordert „Hände weg von Syrien“ oder das Ende der Bundeswehr. Und bei den türkischen Kommunisten blicken neben Marx und Engels auch wieder Stalin und Mao mit strenger Miene vom Banner.

„Auf die beiden zu verzichten ist indiskutabel“, sagt ein Bannerträger, ein ernster Mann um die vierzig. Stalins Rote Armee habe den Zweiten Weltkrieg beendet, Mao habe Chinas unterdrückte Bauern befreit. „Heute ist der Tag, den großen linken Revolutionsführern zu gedenken“, sagt der Mann. „Allen.“

Vorn spielt man Arbeiterlieder: „Erst wenn die Eintracht uns bewegt, haben wir ihn bald umgelegt.“ Der geeinte Kampf gegen den Kapitalismus – davon kann heute keine Rede sein. Überall wird über „die Spalter“ geschimpft, die „sozialdemokratischen Verräter“, deren Jugend zum Gegenbündnis gehört.

„Die Kritik ist nicht unberechtigt“, sagt Michael von der Linksjugend Barnim. „Aber warum wird das nicht hier gemeinsam diskutiert?“ Sein Bundesverband hatte eigentlich zur Gegendemo aufgerufen, ebenso wie die Falken. Ordentlich gezofft habe man sich, sagt Markus, 18-jähriger Falke aus Bayern. Aber die Kritiker hätten politisch nichts zu bieten, deshalb laufe er nicht bei denen. „Hier geht’s auch um aktuelle Forderungen, dort nur ums richtige Gedenken.“

Weiter hinten argumentiert man dialektisch. „Stalin heißt Verrat – am Proletariat“, rufen junge Trotzkisten. Dann: „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“ „Beides Klassenverräter“, sagt Wladek Flakin. „Auf eine falsche Wahl zwischen denen lassen wir uns nicht ein.“

Am Ende, auf dem Friedhof der Sozialisten, der Grabstätte von Luxemburg und Liebknecht, steht Linken-Landeschef Klaus Lederer. Am Morgen hatten dort bereits seine Parteivorderen mit dem griechischen Oppositionsführer Alex Tsipras ihre Nelken abgelegt. Lederer versucht es salomonisch: „Wir unterstützen alle Formen des Gedenkens.“

Der Linke hat sich direkt neben den Gedenkstein für Stalinismusopfer gestellt. Im Grunde ist auch er eine Gegendemo. Immer wieder kommen Demonstranten, schimpfen über die „antikommunistische Provokation“, einige spucken auf den Stein. Am Ende kommt es zum bereits traditionellen Gerangel, als ein Banner für die Stalinismus-Opfer entrollt wird. „Völlig geschichtslos“, kommentiert Lederer die vermummten jungen Angreifer.

Als Anmelder Klaus Meinel hört, dass die andere Demo nur mehrere hundert Teilnehmer hatte, lächelt er. „Die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter“, sagt er, und verschwindet zwischen Büchertischen und Bratwurstständen. KONRAD LITSCHKO