: Lieber eine gekaufte Niere als gar keine
Organspende III Warum kriegen Spender kein Geld für Organe? Das könnte die Bereitschaft erhöhen
Würden Sie ihre Organe spenden?“, frage ich die Postbotin. „Ne“, sagt sie. Dann, schon wieder auf der Treppe, sie hat kurz überlegt: „Der Familie. Da würd‘ ich das vielleicht machen.“ „Sonst nicht?“, rufe ich ihr nach. „Ich meine, wenn Sie doch tot sind?“ „Kriegt man da was für?“, fragt sie. Ich schüttele den Kopf. Man kriegt nichts dafür. Die Angehörigen kriegen nichts dafür. Vielleicht die Genugtuung darüber, etwas Richtiges getan zu haben.
Und wollen wir nicht alle in einer Welt leben, in der wir das bekommen, was wir zum Leben benötigen? Zuwendung, Liebe, Nahrung, gesundheitliche Versorgung, ein Herz, eine Leber, eine Bauchspeicheldrüse? Sind das denn nicht Dinge, die wir zum Überleben brauchen, die uns deshalb zustehen, und die aber unbezahlbar sind? Die also einen unschätzbar hohen Wert besitzen, denen aber kein Geldwert zugemessen werden kann? Und liegt da das Problem?
Seit den Organspendeskandalen an mehreren Universitätskliniken, wie in Göttingen, wo die Listen der Wartenden manipuliert wurden, ist die Zahl der Spender zurückgegangen. Viele Menschen sterben, weil sie nicht rechtzeitig ein Organ bekommen. Aber ein Organ ist keine Tablette, die sich herstellen lässt. Ein Organ muss einem toten Menschen entnommen werden, es muss aus seinem Körper herausgetrennt werden.
Die meisten Menschen denken nicht so gern darüber nach, ob sie so etwas möchten. Die meisten Menschen denken überhaupt nicht gern über den eigenen Tod nach. Und den meisten Menschen ist es nicht nur egal, was mit ihnen nach ihrem Tod passiert, es ist ihnen auch egal, was mit anderen nach ihrem Tod passiert. Der Mensch ist oft nicht so besonders großzügig, schon gar nicht gegenüber denen, die ihn überleben, ausgenommen vielleicht die eigenen Nachkommen.
Ein guter Mensch sein, das Richtige tun, sich selbst ins Gesicht schauen können, weil man eigenen moralischen Maßstäben genügt, das sind Forderungen an den Menschen, die kaum irgendwo propagiert werden. Ein Mensch soll etwas schaffen, er soll es schaffen im Leben. Es heißt dann, er oder sie hat es geschafft. Oder, er oder sie hat es zu etwas gebracht im Leben. Anstand, Güte, ein gutes Karma, das ist damit nicht gemeint.
Und wenn man das alles bedenkt, wenn man bedenkt, dass ein Seelsorger, ein Pfleger im Hospiz, ein Sozialarbeiter, ein Traumatherapeut, jeder in einem helfenden, sozialen Beruf, vielleicht nicht in erster Linie wegen des Geldes arbeitet, dass der aber auch nicht ohne Entlohnung arbeiten würde, dann könnte man sich die Frage stellen, warum in einer solchen materialistischen Gesellschaft jemand sein Ureigenstes, seine Organe, umsonst abgeben soll?
Ich habe viel Geld für meine Zähne ausgeben müssen, und das, obwohl ich mir keiner Versäumnisse bewusst bin. Ich kenne Leute, die haben den Mund voller Lücken, weil sie sich den Ersatz nicht leisten können. Wie soll man einem solchen Menschen erklären, dass die Gesellschaft nicht bereit ist, für seine Zähne zu zahlen, dass aber er seine Organe aus Edelmut spenden soll? Vielen Angehörigen fällt es schwer, die Kosten für eine Beerdigung aufzubringen, aber es bleibt ihnen nicht erspart, sich damit auseinanderzusetzen. Warum darf aber nicht über Geld geredet werden, wenn es um die Organe des Verstorbenen geht?
Es ist natürlich eine schwierige ethische Frage, die bisher so entschieden wurde, dass Organe nur gespendet werden können, eben auch, damit keine mafiösen Strukturen entstehen können, damit sich Menschen nicht aus einer finanziellen Not heraus gezwungen fühlen könnten. Andererseits haben wir die Pharmaindustrie, die mit Medikamenten Milliarden verdient und die nichts spendet oder umsonst zur Verfügung stellt. Sterben nicht in afrikanischen Ländern Millionen Menschen, weil sie sich die teuren Aids-Medikamente nicht leisten können?
In einer idealen, humanistischen Gesellschaft würde jeder Mensch geben, was er hat und was er kann, es würden sich alle unterstützen und ergänzen, jeder nach seinen Kräften und Talenten. In unserer Gesellschaft nimmt der Starke dem Schwächeren, der Reiche dem Ärmeren, wird gefeilscht und gezockt, betrogen und geschachert, werden Waffen in Kriegsgebiete verkauft und dann Mitleid geheuchelt. In unserer Gesellschaft gibt es wunderbarerweise trotzdem noch Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft, und wenn allen Menschen Spenderausweise zugeschickt werden, wenn die Menschen also gezwungen werden, sich wenigstens kurz damit auseinanderzusetzen, wird es vielleicht auch bald wieder mehr Spender geben. Aber ich kann trotzdem diejenigen verstehen, die sich dagegen entscheiden. Katrin Seddig
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