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MUSIKPERFORMANCE Bei ihrem einzigen Deutschlandkonzert spielt, singt und spricht die afroamerikanische Musikerin Matana Roberts mit Stimmen aus der Vergangenheit und Gegenwart

von Franziska Buhre

Um sich auf die Spur musikalischer GrenzgängerInnen zwischen den Genres, Medien und Instrumenten zu machen, sind am Freitagabend in Berlin-Prenzlauer Berg lediglich ein paar Stufen hinab- und eine steinerne Wendeltreppe wieder hinaufzusteigen. Die unabhängige Kulturagentur Digital in Berlin präsentierte seit April in der ehemaligen Schneider Brauerei, die Ende des 19. Jahrhunderts erbaut, eine der letzten Spielstätten für Live-Musik im Bezirk ist, unter dem Namen „Kiez­salon“ an sechs Abenden internationale KünstlerInnen aus den Grenzgebieten akustischer und elektronischer Musik.

Am Abschlussabend stand das einzige Deutschlandkonzert der Europatournee der afroamerikanischen Altsaxofonistin, Komponistin und Klangtüftlerin Matana Roberts auf dem Programm, zuvor jedoch trat das Quintett um Markus Acher, Mastermind-Hälfte der Indierockband The Notwist, auf die Bühne. Rayon heißt die Besetzung aus Cico Beck und Karl Ivar Refseth auf Marimba und Vibraphon, der Pianistin Sachiko Hara, dem Elektronikmusiker Anton Kaun und Acher, der Harmonium, Percussion und Elektronik zum Einsatz bringt. Ihr impressionistischer Sound­track gelangt allerdings nicht über durchgeplante Bögen und Brechungen von Rattern, repetitiven Melodiefragmenten und antizipierbaren Störgeräuschen hinaus. Das mag als Arrangement für Tonträger überzeugend klingen, live aber sind alle fünf so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass keine genussversprechende Intensität aufkommen will.

Ganz anders dagegen bei ­Matana (Betonung auf der letzten Silbe) Roberts: Ihr Solo vollzieht eine kaleidoskopische Reise in die Untiefen des wohl größten und bis heute wirkmächtigsten US-amerikanischen Traumas, der Sklaverei. Dafür macht sich Roberts mit Gesang, Sprachfetzen und Rufen zur Mittlerin von Stimmen aus der Vergangenheit und deren Echo in die Gegenwart. Im Zentrum ihrer Performance steht Coincoin, eine historisch verbürgte, befreite Sklavin, Geschäftsfrau und Landbesitzerin, die an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert lebte. Auf der dunklen Bühne sitzt Roberts, das Saxofon umgehängt, vor einem Mikrofon, neben sich ein übersichtliches Instrumentarium aus Samplern und Effektgeräten, an der Rückwand flimmern Videoprojektionen vergilbter Fotos von Kindergesichtern, namenlosen Erwachsenen, gezeichneten Gittermustern und schemenhaft rasenden Zügen.

Klangquelle Saxofon

Roberts stellt eine Klangcollage in den Raum, deren flüchtige Zusammensetzung sie live improvisiert und strukturiert. Ihre bestimmende Klangquelle ist das Saxofon, wobei sie aufgenommene und verfremdete Passagen nutzt oder ihr Spiel zu einem polyphonen Nachhall loopt. Aus dem welken Notizbuch in ihren Händen rezitiert sie, mal geflüstert, mal schreiend, Sätze wie „I was born“ oder „Come away with me“, ein unerfüllt bleibender Wunsch bis zum verzweifelten Schrei „Say her name“, mit welchem heutige Aktivisten der Black-Lives-Matter-Bewegung auf die weiblichen Opfer rassistischer Polizeigewalt in den USA aufmerksam machen.

Roberts erzeugt den Eindruck eines unaufhörlichen unterbewussten Geflechts an Stimmen, aus dem einzelne kurz an die Oberfläche treten und wieder in Rauschen ersterben. Sie formt Klänge, deren Zusammenwirken und Verlauf sie noch nicht kennt und experimentiert um des Klangabenteuers willen. Bereits vor zehn Jahren hat Roberts mit dem Coincoin-Projekt begonnen, und zwar als Live-Performance über Erinnerungsstücke ihrer Großmutter, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen. Als Kind wurde sie von ihrem Großvater Coincoin genannt, weil er über Generationen entfernt mit dieser verwandt war.

Angelegt hat Roberts ihre Erzählung auf zwölf Kapitel, von denen sie die Hälfte mit MusikerInnen aus New York, ihrer Heimatstadt Chicago und aus Montréal in verschiedenen Konstellationen auf die Bühne gebracht hat, drei Alben sind aus dieser Arbeit bislang hervorgegangen. Roberts begreift ihr Projekt als Community Music und sich selbst als Hybrid vieler verschiedener amerikanischer Musiktraditionen. In Berlin stimmt sie als Zugabe mit dem Publikum einen Wechselgesang an:

In dem Gedicht des US-amerikanischen Sängers, Dramatikers und Bürgerrechtsaktivisten Oscar Brown Jr. wird eine Sklavin vom Auktionator feilgeboten, dessen Rede nun Roberts intoniert und das Publikum auffordert, Gebote abzugeben. Die völlige Entrechtung wird im Akt des Singens zur Selbstermächtigung und Roberts stiftet für wenige kostbare Minuten eine Gemeinschaft, die zuversichtlich ist, kollektive Traumata irgendwann zu überwinden.

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