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Alles ist Mimik, und das Leben geht weiter

KONZERT Fast schon brechtianisch: Der 74-jährige kalifornische Singer-Songwriter Randy Newman gastiert am Sonntag im ausverkauften Berliner Admiralspalast

Fast regungslos am Klavier: Randy Newman Foto: Christina Kratsch/POP-EYE

von Ambros Waibel

Man kann monatelang hinter einer Bar schuften und von der immer gleichen Beschallung, die die Kollegen begeistert ausgewählt haben, so gar nichts verstehen. Und dann sitzt man eines nachts auf der anderen Seite des Tresens, schlürft erschöpft sein Feierabendgetränk – und plötzlich singt da jemand, nur für dich. Das ist ein Weile her. Aber genau diese Exklusivität der Ansprache und diese Intimität des Gefühls kamen hoch, als der kalifornische Singer-Songwriter Randy Newman mit „I love to see you smile“ am Sonntagabend sein Konzert im ausverkauften Berliner Admiralspalast eröffnete.

Vergleich mit Pinguin

Der bald 75-jährige Kalifornier, der sich an diesem Abend unter anderem mit einem Pinguin vergleicht, watschelt in einem schlecht sitzenden schwarzen Anzug und Joggingschuhen auf die Bühne, setzt sich an sein Klavier und ist damit dort, wo er hingehört: Höchst merkwürdig, wie dieser kleine weißhaarige Mann mit dem riesigen schwarzen Instrument verwächst. Sein Oberkörper bleibt in den nächsten zwei Stunden völlig regungslos, selbst die Arme bewegen sich kaum. Alles ist Mimik, im Gesicht und mit den Händen.

Der Minimalismus ist Haltung. Das sieht man sehr schön, als Newman einen seiner wenigen Hits spielt und anschließend satirisch hämmernd andeutet, was man aus dem zart-perversen „You Can Leave Your Hat On“ (1972) hätte machen können beziehungsweise was Rockröhre Joe Cocker dann daraus gemacht hat – Umtata fürs Business.

Wenige hundert Meter vom Berliner Ensemble entfernt, darf man es vielleicht sagen: Randy Newman ist in seiner Mischung aus lässig hingeworfener Schärfe und Sentimentalität, die noch dem härtesten Brocken die Tränen in die Augen treibt, fast so viel Brecht wie der Meister selbst.

Einen Moment lang wüsste man gerne, wie ein Brecht’sches Alterswerk ausgesehen hätte, ob es ein Äquivalent zu Newmans Versen gegeben hätte – etwa zu dem auch stimmlich tief hinabsteigenden „If Marx were living today / He’d be rolling around in his grave“ („The world isn’t fair“). Die gesellschaftlichen Hoffnungen, sie sind dahin, das Leben geht weiter – und wie. Der Abend ist dann am stärksten, wenn Newman über die Liebe singt, was bei ihm immer heißt: über männliche Liebesbedürfigkeit. Da ist nichts Eroberndes in dem lyrischen Ich und seinen aus schwärzesten Abgründen hervorgeholten Alter Egos. Newmans Männer sind Verlorene, Vereinsamte, denen Gnade geschieht durch die Frau, die sie vom Boden aufsammelt.

Mütter an Söhne, Väter an Töchter, Männer an Frauen und umgekehrt: Das Neue an diesem Abend ist die Liebe, mit der das Alte weitergegeben wird

Dass der männliche Liebeshunger nicht liebenswert bleiben muss, wird klar, wenn New­man an diesem Abend sehr bewusst – aber da mag ich mich täuschen – den Song „In Germany before the war“ (vom Album „Little Criminals“) in sein Set aufgenommen hat: Eine ­düstere Variation der Geschichte vom Kindermörder Peter Kürten. Wer denkt nicht an Mohammed, an Elias – und an Silvio S.?

Zaghafter Applaus

Die im engen Sinn politischen Stücke bleiben dagegen eher Reminiszenz. „The great nations of Europe“, die Absage an die Epoche, als das zerklüftete Westkap Asiens meinte, die ganze Welt ausbeuten zu dürfen, findet im Publikum noch einen Ansprechpartner – und eher zaghaften Applaus; „Political Science“, die Vision von US-Außenpolitik, die mit der Atombombe alle störenden Elemente plattmacht außer Australien („Don’t wanna hurt no kangaroo“), wird hingegen bejubelt. Ganz offensichtlich hatten viele im Publikum diesen Schlüsselmoment, als sie das Verstörend-Besondere aus New­mans ja durchaus gefälligen Klangteppichen erstmals heraushörten – und dies nun weitergeben wollen: Mütter an Söhne, Väter an Töchter, Männer an Frauen (aber auch umgekehrt). Klar, es sind die alten Fans in Newmans Alter da, die grauhaarigen „Walker“, über die er sich lustig macht. Für sie gibt es Medleyartiges, werden Wünsche erfüllt, aber auch zurückgewiesen („ ‚Baltimore‘ habe ich schon gespielt – don’t try to trick me!“). Das Neue an diesem Abend ist vielleicht die Liebe, mit der das Alte weitergegeben wird. Und das klingt dann schon wieder verdammt nach Bertolt Brecht.

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