BERNHARD PÖTTER über KINDER : Elternvertreter: ein schmutziges Geschäft
Jeder darf sagen, was er denkt. Auch im Kindergarten. Auch unter Eltern. Aber muss das so wehtun?
Solange Einstein-Jahr ist, muss man das noch mal schnell sagen: Die Zeit ist wirklich eine komplizierte Angelegenheit. Nicht nur für mich. Ich habe mich daran gewöhnt, dass die Menschen lieber „älter“ sind als „alt“, obwohl „älter“ eindeutig älter ist als „alt“. Und dass Mädchen, wenn sie älter werden, plötzlich zu „jungen Mädchen“ mutieren.
Auch mein Mädchen, das mit vier Jahren zu jung ist, um als junges Mädchen zu gelten, würfelt gern mal die Zeiten durcheinander: „Diesen Pullover hatte ich schon morgen an“, sagt Tina voller Verachtung, als ich ihr die Klamotten von gestern überstreifen will. Und: Kommt nicht übergestern Oma zu Besuch? Kann man sich nach dem Aufstehen nicht darüber beschweren, man hatte noch kein Abendbrot? Und wenn Papa spätabends noch in die Kita aufbricht – muss er dann nicht zum „Spätdienst“?
Die Betonung liegt auf „Dienst“. Denn der abendliche Weg in die Kita oder Schule ist tatsächlich ein schwerer Gang. Ein Zwangsdienst. Verweigerung ist nicht vorgesehen. Elternabend. Noch einer. Und noch einer. Elternvertretertreffen. Informelle Informationsrunde. Kita-Rat. Abstimmung der AG Kita-Dach. Bezirkselternversammlung. Eine Woche voller Diensttage. Wer schreibt Protokoll? Niemand hat das letzte Protokoll gelesen? Also diskutieren wir alles noch mal von vorn. Eine Tagesordnung gibt es nicht. Oder wenn, dann hält sich niemand dran. Am besten sprechen alle gleichzeitig. Der Vater von Max hört sich gern reden. Die Mutter von Sofie quatscht dauernd dazwischen. Lisas Mama kommt später und geht früher, will aber alles ganz genau diskutieren. Eine Zweidrittelmehrheit der Eltern starrt Löcher in die Luft.
Will noch jemand Kekse? Tonis Mutter bringt regelmäßig Tonis kleinen Bruder, ein furchtbares Schreikind, in die Gremien mit. Jetzt bloß nicht kinderfeindlich werden! „Ich sag jetzt nur mal ein Beispiel …“ ist der meistgehasste Satz von Beate, weil sich dann eine halbstündige Debatte über diesen völlig irrelevanten Einzelfall anschließt.
„Wenn das so hart ist“, sagt Anna, als ich erschöpft nach der Dringlichkeitssitzung zum Thema „Rutsche oder Schaukel“ aufs Sofa falle, „warum machst du dann immer wieder mit?“ Das habe ich mich auch gerade 150 Minuten lang gefragt. Die einzige Antwort, die ich habe: It’s a dirty job, but someone’s got to do it.
Na gut, wenn ich ehrlich bin, muss ich zugeben: Ich fühle mich geschmeichelt.
Nicht weil ich einstimmig gewählt wurde – wer sich nominieren lässt, kann ohnehin mit hundert Prozent rechnen. Nein, es ist mehr das Gefühl, ein hohes demokratisches Ideal auszufüllen, das es sonst nicht gibt.
Denn wer in Parteien oder Verbänden was werden will, der strebt in Wirklichkeit nach Macht, Reichtum, dicken Dienstwagen, Sitzungsgeldern, Bodyguards, exklusiven Reisen und flotten Sekretärinnen. Für uns Elternvertreter dagegen geht es wirklich nur um die Sache. Denn was anderes gibt es ja nicht. Wir sind machtlos, die Kita ist pleite. Wir kommen mit dem Fahrrad zu den Sitzungen, die nur durch alte Kekse aufwandsentschädigt werden. Unsere Leibwächter lassen wir am liebsten zu Hause im Bett, die Reisen sind gestrichen und die flotten Sekretärinnen, na ja.
Die Parteien ziehen deshalb auch die machtgierigen Karrieristen an. Der Kita-Rat nur solche Trottel wie mich, die nicht nein sagen können, wenn irgendwo noch dringend ein Kassenwart gesucht wird.
Das heimliche Motto von Parteitagen, Gewerkschaftskongressen und Firmenjubiläen lautet ja: „Es ist schon alles gesagt, aber noch nicht von jedem.“ Selbstverständlich gilt das auch für alle Gremien der Selbstverwaltung, in denen ich mir den Hintern platt sitze. „So ist das eben mit der Demokratie“, sagt Anna. „Viele Leute genießen es, dass sie überhaupt mal zu Wort kommen. Dass man sie fragt, wenn es um Entscheidungen geht. Dass ihre Stimme wirklich zählt. Und vor allem: dass sie mal keiner unterbricht.“
Das könnten sie auch billiger haben. Die Leute hätten sich eben keine Kinder anschaffen dürfen.
Fotohinweis: BERNHARD PÖTTER KINDER Fragen zum Gremium? kolumne@taz.de Morgen: Bettina Gaus über FERNSEHEN