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Scharfe Kontraste, innere Gegensätze

JAZZ Die japanische Pianistin Satoko Fujii macht Musik ohne Grenzen – stilistisch und geografisch. Seit vier Jahren lebt sie in Berlin, am Sonntag ist sie im Exploratorium zu hören

von Tim Caspar Boehme

Schön, wenn man sagen kann: „Zu Hause ist dort, wo ich lebe.“ Die Pianistin Satoko Fujii kann das. Sie stammt aus Japan, studierte in den USA, pendelte dann lange Jahre zwischen New York und Tokio hin und her. Seit 2011 lebt sie in Berlin und ist oft in Japan. Und sie geht viel auf Konzertreisen.

„Manchmal haben wir einen sehr engen Terminplan“, beschreibt sie ihren Alltag. „Einen Tag in England, dann fliegen wir in die USA, spielen dort zwei Tage und kommen wieder zurück nach Deutschland. Manchmal vergessen wir einfach, wo wir sind! Irgendwann haben wir dann gemerkt: Es ist egal, wo wir sind. Wir sind hier. Dies ist unser Zuhause.“

Wir, das ist neben Satoko Fujii selbst vor allem ihr Ehemann, der Trompeter, Natsuki Tamura, der in vielen ihrer Projekte mitspielt, sei es im Free-Jazz-Kollektiv Kaze, in ihrem Quartett Satoko Fujii Tobira oder in ihren vielen „Orchestras“. Der jüngste Zuwachs ist, ihrem Wohnort gemäß, das 15-köpfige Satoko Fujii Orchestra Berlin. Zuvor gab es schon Orchester in New York, Tokio, Nagoya, und Kobe. Satoko Fujii spielt selbstverständlich auch Solo-Konzerte, diesen Sonntag kann man sie unbegleitet im Exploratorium erleben.

Diverse Interpretationen

„Wenn ich solo spiele, dann gehe ich einfach ans Klavier, und das war’s“, so Fujii. „Für 15 Musiker zu schreiben ist dagegen gar nicht so einfach. Doch zum Glück, habe ich immer wieder die Gelegenheit dazu erhalten.“ Als sie zum Beispiel von New York nach Tokio umgezogen sei, habe sie beschlossen, auch in Tokio eine Big Band zu gründen. Statt neues Material zu schreiben, habe sie den japanischen Musikern einfach dieselben Stücke zu spielen gegeben, die sie schon für ihr Orchester in New York komponiert hatte.

„Die Ergebnisse in Tokio waren allerdings völlig anders. Die Stücke, die Arrangements und die Instrumente waren dieselben, die Musik jedoch ganz unterschiedlich. Daher habe ich beschlossen, verschiedene Orchester in verschiedenen Städten zu gründen, weil es eine Riesenüberraschung ist, wie anders meine Musik immer wieder klingen kann.“

Anders sein ist dabei keine bloße Frage von Orts- und Interpretenwechsel. Die Art, wie Satoko Fujii Musik schreibt, schließt das Anderssein in seinen diversen Facetten immer schon mit ein. Seien es die scharfen dynamischen Kontraste oder der unvermittelte Wechsel von einem Idiom ins nächste, bei dem auf eine frei improvisierte, geräuschhafte Passage durchaus ein paar Rock-artige Akkorde folgen können, atonale Free-Jazz-Ausbrüche mit wuchtigen C-Dur-Akkorden erwidert werden. Diese inneren Gegensätze bilden ein Konstruktionsprinzip ihrer Musik.

Auf die Frage, warum sie so vorgehe, hat Satoko Fujii eine erstaunliche Antwort parat: „Als Kind war ich sehr schüchtern. Ich hatte Schwierigkeiten, mit anderen Kindern zu sprechen, und bat meine Eltern sogar darum, nicht mehr in den Kindergarten gehen zu müssen. Ich habe mich einfach unwohl gefühlt und bin die ganze Zeit zu Hause geblieben.“ Dort spielte sie Klavier, tanzte und sang – für sich. „Meine Mutter entschied dann, mich in eine Klavierklasse zu geben. Ich war also kein besonders freies Kind, ich konnte nicht entspannen. Jetzt bin ich sehr frei. Denn als ich anfing, Klavier zu spielen, habe ich gemerkt, dass ich mit Musik alles tun kann, was ich will.“

Dass Satoko Fujii eine solche Entwicklung vollzogen hat, liegt auch an den Eigenheiten der japanischen Kultur: „Die Leute in Japan sagen zum Beispiel nicht Nein, sondern umschreiben es, und die anderen müssen die Antwort aus ihren Worten herauslesen. Wenn man Nein sagt, empfinden das manche als Beleidigung.“ Diese strengen Verhaltenscodes laufen ihrem Verständnis von Freiheit eindeutig zuwider: „Mit Musik kann ich alles sagen. Darum will ich mich nicht beschränken. Ich will genau das tun, was ich will. Ohne Regeln.“

„Mit Musik kann ich alles sagen und tun, was ich will. Ohne Regeln.“ Satoko Fujii

Inklusiver Ansatz

Ob sie nun im Inneren des Klaviers, auf den Tasten oder eben C-Dur-Akkorde spielt – sie will sich keine Vorgaben machen. „Je mehr ich tun kann, desto größer wird mein Vokabular.“ Auch in Berlin habe sie feststellen müssen, dass ihr offener, inklusiver Ansatz nicht so recht zu den strengeren Improvisationstraditionen der Stadt passt. Umgekehrt habe sie, vor allem in den Jazzclubs Tokios, oft zu hören bekommen, das, was sie spiele, sei kein Jazz.

Inzwischen hat sich anscheinend aber selbst dieses Hindernis bei ihren Konzerten erübrigt: „Inzwischen erscheinen nur die Leute, die unsere Art von Musik mögen. Sie kennen uns, darum gibt es keine Beschwerden.“ Dass diese Entwicklung zugleich mit rückläufigen Besucherzahlen einhergeht, verhehlt sie keinesfalls. Wenn man hingegen ihr Veröffentlichungstempo bedenkt, käme man nicht auf den Gedanken, dass Satoko Fujii damit einen begrenzten Personenkreis erreicht. Allein in diesem Jahr erschienen drei Alben von ihr, „Uminari“ von Kaze, „Yamiyo Ni Karasu“ von Satoko Fujii Tobira und „Ichigo Ichie“ vom Satoko Fujii Orchestra Berlin, alle beim Label Libra Records.

Satoko Fujii gilt denn auch – wohl zu Recht – als Workaholic. Die Frage danach pariert sie ziemlich entwaffnend: „I just don’t like Urlaub.“ Ist ja irgendwie auch eine Art von Beschränkung.

Live am 1. November, 20 Uhr, Exploratorium

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