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Gespräch bei Zahnweh

Ganzheitlich Anthroposophie bezieht die Psyche in Therapie ein

von Jördis Früchtenicht

Wolfgang Güldenstern ist Zahnarzt. Bevor er seinen Patienten in den Mund schaut, spricht er mit ihnen. Für die Stellung der Diagnose ist das für ihn von zentraler Bedeutung – denn Güldenstern behandelt nach den Grundsätzen der anthroposophischen Medizin. „Erst danach wird mit schulmedizinischen Untersuchungen überprüft, ob Schmerzen etwa von einem Zahn mit Löchern verursacht werden“, sagt Güldenstern.

Kommt ein Patient mit Zahnfleischbluten, schließt der Arzt erst nach dem Gespräch mögliche Ursachen wie ungeputzte Zähne oder Zahnstein aus. Dann stellt er eine anthroposophisch-medizinische Diagnose. Die schließt auch das Seelisch-Geistige mit in Diagnose und Therapie ein.

Anthroposophische Medizin ist eine komplementärmedizinische Richtung mit ganzheitlichem Ansatz. In Deutschland ist sie, neben Homöopathie und Phytotherapie, im Sozialgesetzbuch und Arzneimittelgesetz als „besondere Therapierichtung“ anerkannt. Trotz Kritik ist sie in über 80 Ländern verbreitet.

Hierzulande gibt es laut dem Dachverband Anthroposophische Medizin in Deutschland (Damid) rund 1.200 anthroposophische Ärzte und 15 Kliniken, von denen sechs Rehakliniken sind.

Anthroposophische Medizin beruht auf den Leitgedanken Rudolf Steiners. Er begründete die Anthroposophie, eine spirituelle Weltanschauung. Sie ist eine Mischung aus Mystik, Religion, Philosophie und einer von den Ideen Goethes geprägten Naturwissenschaft. Neben Steiners medizinischem Ansatz, den er zusammen mit der Ärztin Ita Wegmann Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte, schuf er auch die biologisch-dynamische Landwirtschaft und die Waldorfpädagogik.

Körper, Geist und Seele haben in der anthroposophischen Medizin einen Einfluss auf die Gesundheit des Menschen. Für die Diagnose und Behandlung der Patienten sind für anthroposophische Ärzte neben den messbaren Befunden auch das Befinden im Allgemeinen und die Lebenssituation relevant. „Es ist eine Methode, den Menschen zu sehen“, sagt Matthias Girke, Vorstandsmitglied des Dachverbands und stellvertretender ärztlicher Leiter des anthroposophischen Gemeinschaftskrankenhauses Havelhöhe. Die alternative Medizinrichtung verstehe Krankheiten mehrdimensional und behandele diese mit einer multimodalen Therapie, sagt Girke. Beispielsweise könne die Frage nach den Zielen im Leben des Patienten für den Krankheitsverlauf relevant sein, da Ziele motivierten.

Dem Verband zufolge ist die konventionelle Medizin die Basis, auf der die anthroposophische Medizin aufbaut. Sie wolle die Schulmedizin nicht ersetzen, sondern ergänzen, sagt Damid-Sprecherin Natascha Hövener: „Wenn jemand in die Notfallaufnahme eines anthroposophischen Krankenhauses kommt und unter Schmerzen leidet, wird er auch erst mal Schmerzmittel erhalten.“ Der Mensch sei allerdings ein komplexes Wesen und bestehe nicht nur aus biochemischen Abläufen oder Symptomen. Im weiteren Verlauf der Behandlung würde deswegen geschaut, wie der Patient insgesamt konstitutionell und langfristig gestärkt werden könne. „Konventionelle Medizin kommt so viel wie nötig und so wenig wie möglich zum Einsatz.“

Die Anthroposophie bezieht die Psyche ein und soll die Mittel derSchulmedizin nur erweitern

Ärzte können erst nach ihrer Approbation oder Facharztausbildung die mindestens drei Jahre dauernde Ausbildung in anthroposophischer Medizin beginnen. Anthroposophische Arzneimittel können pflanzlichen, mineralischen oder tierischen Ursprungs sein und werden auf unterschiedliche Weise angewendet. Daneben gibt es verschiedene Therapien, die die Selbstheilungskräfte der Patienten steigern sollen, etwa Kunsttherapien oder die Heileurythmie.

Doch anthroposophische Arzneimittel stehen in der Kritik – bislang konnte kaum eine Studie eine Wirkung, die über einen Placebo-Effekt hinausgeht, belegen. Girke hält trotzdem an den Methoden fest. Es gebe auch Studien, die „signifikante Effekte“ der Medikamente festgestellt hätten. Die Zahl der Studien, die für die Wirksamkeit anthroposophischer Medizin sprächen, stiege sogar „exponentiell an“, sagt er. Die Kritik konventioneller Mediziner, dass diese Studien häufig nicht den gängigen methodologischen Ansprüchen genügten, tut Girke ab. Die Qualität der Forschung sei heute höher und internationalen Standards entsprechend. Zudem dürfe nicht außer Acht gelassen werden, welches System am Ende die besseren Ergebnisse, inklusive der zufriedeneren Patienten, zeige.

Kritiker bemerken zudem, dass Steiner kein Arzt war und ihm medizinisches Fachwissen fehlte. Eine Argumentation, die Sprecherin Hövener nicht teilt: „Steiner hat die anthroposophische Medizin im Zusammenspiel mit Ärzten entwickelt und in der Pharmazie mit Pharmazeuten zusammengearbeitet.“

Anthroposophischen Ärzten wird außerdem immer wieder vorgeworfen, Impfungen abzulehnen. Dem widerspricht der Dachverband auf seiner Webseite deutlich. Die Ärzte seien nicht gegen Impfungen, sondern für eine differenzierte Beratung der Eltern – sowohl über die positiven Aspekte als auch über Nebenwirkungen. Dazu seien Ärzte auch rechtlich verpflichtet.

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