Willkommen als Kulturtechnik: Die Kunst der Gastfreundschaft

Nicht nur ästhetisch ist das Beherbergen Fremder ein komplexes Unterfangen. Der Kunstverein Braunschweig widmet sich dieser Kulturtechnik.

In ihrer Videoinstallation lässt die Künstlerin Bianca Baldi ein Louis-Vuitton-Feldbett aufbauen. Foto: Bianca Baldi (Screenshot)

Als der italienisch-französische Aristokrat Pierre Savorgnan de Brazza 1875 zu einer dreijährigen Forschungsreise nach Zentralafrika aufbrach, vermutete er dort keine standesgemäße Gastfreundschaft. Deshalb ließ er bei dem französischen Koffermacher Louis Vuitton ein klappbares Feldbett mit gepolsterter Auflage fertigen, das sich in einem Holzkoffer mit dem bekannten Monogrammdekor der späteren Nobelmarke verstauen ließ.

Offensichtlich folgten auch weitere reisende Europäer der Auffassung de Brazzas, denn Vuitton übernahm das herrschaftliche Gepäckstück unter dem Namen Explorator in den 1890er-Jahren in sein Serienprogramm.

Die südafrikanische Künstlerin Bianca Baldi ließ 2014 de Brazzas Original in einer 10-minütigen Videoperformance von zwei Männern aufbauen – beide mit dunklen Anzügen und weißen Handschuhen, Stellvertreter für die vielen Dienstboten, die damals wie heute den Komfort auch in fremden Ländern sicherstellen.

Gruppenschau mit elf TeilnehmerInnen

Gastfreundschaft ist also eine durchaus komplizierte, von wechselseitigen Erwartungen getragene Angelegenheit, sagt Jule Hillgärtner. Seit letztem November Direktorin des Kunstvereins Braunschweig, zeigt sie nun als ihre erste vollständig eigenverantwortete Ausstellung im Hause eine Gruppenschau mit elf TeilnehmerInnen zu diesem Thema.

Nicht nur die ganz aktuelle Situation bot ihr den Anlass, auch im Ausstellungsbetrieb sei ja das Einladen eines Künstlers, das gastfreundliche Aufnehmen seiner Werke für eine gewisse Zeit, eine tradierte Kulturtechnik.

Je mehr sie aber über das Thema nachgedacht habe, desto facettenreicher und – zumindest im deutschen Gefühlsleben – auch zwiespältiger sei es ihr dann erschienen. Hierzulande hält sich ja der Leitsatz, dass Besuch zweimal Freude bereite: beim Ankommen sowie beim Abreisen.

Diese instabile Lage verdeutlicht ein kleines Mobile der in Berlin lebenden Engländerin Kasia Fudakowski am Beginn des Rundgangs: Mehrere sich aneinander vorbei bewegende Handpaare lassen es einfach nicht zur vertrauensvollen Schlüsselübergabe kommen.

Stereotype Tristesse von Hotels

Auch als ästhetisches Phänomen ist das Beherbergen Fremder sehr komplex. Der jüngste Teilnehmer, Philipp Grünewald aus Frankfurt, steuert das vertraute Ambiente eines Sanitärraums bei: weiße Fliesen, halbhohe Schamwände, synthetischer Duft aus dem Diffusor. Das Interieur darf oder soll nun gar der Ausstellungsgast als Nachweis seines Besuches mit Sprüchen und Kritzeleien versehen – eine Geste, die man lieber anonym in öffentlichen Bedürfnisanstalten vollzieht.

Von stereotyper Tristesse erzählen auch die bescheidenen Hotelzimmer der 1990er-Jahre zwischen Prag, Straßburg oder Triest, denen der in Berlin lebende Bayer Florian Slotawa eine Fotoserie widmet.

Aber erst, nachdem er das Inventar zerlegt und zu ganz persönlichen Arrangements aus Sprungfederrahmen, Schranktür und Bettvorleger neu kombiniert hatte. So besteht kaum ein Unterschied zu den improvisierten Flüchtlingsbleiben weltweit.

Einem Migrationsaspekt anderer Art geht das eurasische Team Slavs and Tatars nach. Es ist der uvulare Reibelaut Chhhhh, dessen Existenz und Schreibweise sie durch mehrere Sprachen verfolgen. Ihr umfangreiches Exzerpt lässt sich auf einer einladenden Teppichskulptur lesen.

Unerreichbares Europa

Für den politisch korrekten Bezug zur Gegenwart sorgt zum Ende des Parcours der Berliner Fotograf Sven Johne. Er war 2009 erstmals auf Lampedusa, zu einem Zeitpunkt somit, als das Ausmaß der Flüchtlingsströme noch nicht abzusehen war.

Johne, der an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig studierte, traf dort parallele Welten aus gepflegtem Tourismus für norditalienische Gäste und einer beginnenden humanitären Katastrophe. Bei einem weiteren Besuch im letzten Jahr umrundete er dann die kleine Insel, ein schroffes Felsplateau, das sich aus dem Meer erhebt.

Den Hafen, die einzige Stelle, die den Flüchtenden Zutritt zur Insel gewährt, schnitt Johne anschließend aus seinem Video-Loop: Europa ist wieder unerreichbar.

„Open House – a group show on hospitality“: bis zum 22. November im Kunstverein Braunschweig

Booklet mit 34 Seiten gegen Spende für die Flüchtlingshilfe Braunschweig e.V.

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