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Meisterwerk des Bad Taste

KULT „Pink Flamingos“ ist ein Klassiker des queeren Kinos und begründete den kometenhaften Aufstieg Divines

Zum 70. Geburtstag der bereits 1988 verstorbenen Divine zeigt die Brotfabrik John Waters‘ Film in der subversiven „Vogelbaum“-Reihe Foto: Promo

von Thomas Groh

Machen wir es kurz: Ja, „Pink Flamingos“ ist dieser Film, an dessen Ende Harris Glenn Milstead, besser bekannt als Drag Queen Divine, auf offener Straße einem sich entleerenden Pudel nachstellt, um den frischen Haufen zu verzehren – strahlend, wenn auch nicht ohne Würgreflex. Das Filmmaterial ist grob, die Ausleuchtung amateurhaft, einen Schnitt gibt es nicht: Kein Zweifel, die Szene ist echt. Das beteuerten auch Milstead und sein Regisseur John Waters, der in Baltimore lebende und wirkende Godfather of Trash, immer wieder.

Die Geburt des Filmstars aus dem Geist der transgressiven Low-Budget-Komödie: Mit „Pink Flamingos“ begründet sich der kometenhafte Aufstieg von Divine als Ikone der queeren Subkultur – stilecht mit schrillem Make-up, grellen Haaren, jeder Menge Hüftgold und bösartigem Humor. Und John Waters katapultierte sich, obwohl oder gerade weil „Pink Flamingos“ in etlichen Städten der USA verboten wurde, direkt nach Hollywood, dem er einige bezaubernd subversive Filme abpresste, um schließlich als „Elder Statesman of Filth“ zuletzt in Kunstkreisen zu reüssieren.

70 Jahre wäre der 1988 verstorbene Milstead am 19. Oktober geworden. Ein Anlass für die Filmkuratoren Jennifer Borrmann und Carlos Rincón, eine 35-mm-Kopie von „Pink Flamingos“ in ihrer Filmreihe „Vogelbaum“ zu präsentieren, die sich mit der Geschichte des subversiven Kinos befasst. Kino als Guerillakunst: Mit etwas Geld von den Eltern, die das glorreiche Machwerk nie zu Gesicht bekommen haben, drehte Waters mit seinen Komplizen aus dem Freundeskreis, einem festen Stab an Darstellern, die er für fast alle Filme verpflichtete, unter abenteuerlichen Bedingungen in den Wäldern von Baltimore – Drehgenehmigung: Fehlanzeige – und der Legende nach wohl auch nicht immer nüchtern diese anarchische Attacke wider den guten Geschmack.

Und gegen das Gesetz: Waters bezeichnet den Film heute als Abfolge kleinerer und größerer abgefilmter Verbrechen. Auf dem Set herrschte demnach Gangmentalität: Der eine würde seinen Schwanz entblößen, der andere seinen Anus vor laufender Kamera zu „Surfin’ Bird“ gewissermaßen „singen“ lassen, Divine war für den Hundekot zuständig und irgendwer saß immer am Steuer des Flucht­autos. Nichts, was einem in den 70ern unbedingt Ruhm einbrachte – aber rasch eine Haftstrafe. In lockeren Episoden und Gags handelt „Pink Flamingos“ von den Auseinandersetzungen zwischen der in einem scheußlichen Wohnwagen in der Wildnis lebenden Kriminellen Divine und einem Gangsterpärchen aus der Stadt, das Babys an lesbische Paare verkauft, Pornografie vertickt und an Schulen mit Heroin handelt. Einander streitig machen will man sich allerdings nicht Einfluss oder Geld, sondern den begehrten Titel „Filthiest Person Alive“.

John Waters’„Pink Flamingos“ ist eine Mischung aus Vaudeville-Freakshow, Exploitationfilm und Warhol-Kunst

Willkommen also in der infantilen Quatschwelt von John Waters, der seinen zwischen Vaudeville-Freakshow, Exploitationfilm und Warhol-Kunst angesiedelten Film im Zuge der Manson-Morde nicht nur als Lob aufs Outlaw-Leben konzipiert hat, sondern auch als gezielte Provokation in Richtung Hippies und deren naiver Kultur wattierter Gutmütigkeit: „Die waren die Love Generation, wir waren die Hate Generation“, sagt er. Tatsächlich erweist sich „Pink Flamingos“ 1972 als erstaunlich hellsichtig: Die Lust am grellen Flohmarkt-Trash, am zynischen Nihilismus und nicht zuletzt an wild gefärbten Haaren kennzeichnen diese ausgelassen mit den geisterhaften Insignien der 50er spielende Neurosenrevue als Punk avant la lettre. Viel von dem, was nur kurze Zeit später in New York und London endgültig in Form gebracht wurde, war hier bereits angelegt: Punk Flamingos, quasi.

Freilich ist „Pink Flamingos“ kein Bahnhofsschocker, wie sie später in Mode kamen. Worin man sich von Punk dann doch unterscheidet, war der kindliche Humor, der keinen Zweifel daran lässt, dass sich hier zwar über vieles lustig gemacht wird, dies aber stets unter Bedingungen des reinen Spiels. John ­Waters’ Bad-Taste-Meisterwerk „Pink Flamingos“ ist niedlich wie ein lachendes Kind, das stolz die Wände des elterlichen Wohnzimmers vollgekritzelt hat.

Pink Flamingos: Brotfabrik, Caligariplatz 1, 23. 10., 22.15 Uhr

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