Föderal In Berlin erhalten die meisten Flüchtlinge erst mal keinen regulären Studienplatz. Andere Universitäten sind da schon weiter
: Es geht auch anders

Sachsen-Anhalt

Vollwertig Geflüchtete können ohne Nachweise ein Studium aufnehmen

Berliner Beamte stempelten bis vor Kurzem den Asylsuchenden ein Verbot zu studieren in den Antrag. Aber Ausländerbehörden können auch anders: Ihre Kollegen in Magdeburg sind neuerdings angehalten, Geflüchtete über die Studienmöglichkeiten an Hochschulen in Sachsen-Anhalt zu informieren.

Von diesem Angebot könnten bis zu 600 Geflüchtete profitieren. So vielen will das Bundesland in den kommenden drei Jahren ein Studium ermöglichen, auch bei „unvollständiger Aktenlage“. Das haben die Hochschulrektoren des Landes vergangene Woche in Magdeburg verkündet. Sachsen-Anhalt ist damit das erste Bundesland, das anerkannten Schutzberechtigten das Studium von Fächern mit Numerus clausus erlaubt, auch wenn sie keine Dokumente vorlegen können. Dafür musste Wissenschaftsminister Hartmut Möllring (CDU) im Mai erst die rechtlichen Rahmenbedingungen schaffen: Nun kann jede Hochschule einen Eignungstest nach eigenen Vorstellungen entwerfen und abhalten.

An der Hochschule Magdeburg-Stendal ist dies bereits geschehen. Nach zwei Orientierungsgesprächen sind bislang 25 Geflüchtete zum Vorbereitungsprogramm der Hochschule zugelassen. Zwei Bewerber, die keinerlei Zeugnisse vorlegen konnten, mussten einen 5-stündigen Test in Form eines Fragebogens absolvieren – und haben bestanden. Ein Teil der angenommenen Flüchtlinge konnte noch an dem zweiwöchigen Vorbereitungskurs im September teilnehmen, in dem deutsche und ausländische Studierende zusammen lernten. „Die Summer School dient auch dem gegenseitigen Kennenlernen“, sagt Hochschulsprecher Norbert Doktor. „Die Geflüchteten haben sich sehr wohlgefühlt“.

Zum kommenden Herbst sollen sie das reguläre Studium aufnehmen. Mehr als 50 Studiengänge stehen dann für die Flüchtlinge bereit. Bis dahin besuchen sie einen Deutschkurs. Natürlich könnten sich auch weitere Geflüchtete für ein Studium in Magdeburg bewerben, versichert Doktor. „Bei NC-freien Studiengängen haben wir keine Beschränkungen.“

Die ersten Erfahrungen aus Magdeburg haben die Landesrektorenkonferenz von dem Pilotprojekt überzeugt. Neben Magdeburg sollen zwei weitere Zentren entstehen, an denen Eignungstest und Sprachkurse angeboten werden: Diese sollen in Köthen sowie in Merseburg oder Halle eröffnet werden. 4,7 Millionen Euro stellt das Land bis 2018 dafür bereit.

Rheinland-Pfalz

Vorrang Wer in der Heimat eine Naturwissenschaft studiert hat, soll das fortsetzen können – mit Mathetests und Eignungsgesprächen

Wäre Mohammed Deaa al-Ghazawi nicht in Berlin, sondern in Mainz, Trier oder Koblenz gelandet, seine Aussichten auf ein reguläres Studium wären deutlich besser. In Rheinland-Pfalz können Geflüchtete nicht nur wie in Berlin als Gasthörer probehalber Veranstaltungen besuchen, sie sollen auch schnell ein bereits begonnenes Studium wiederaufnehmen können. Zumindest wenn sie in ihrer Heimat ein naturwissenschaftliches oder technisches Fach studiert haben und wenn sie an einer der beiden Hochschulen in Kaiserslautern studieren wollen. Weitere Standorte und andere Fächer sollen hinzukommen.

So sieht es ein Fünfpunkteplan vor, den die rheinland-pfälzische Wissenschaftsministerin Vera Reiß (SPD) im September vorlegte. 60.000 Euro stellt das Land bereit, um die Studienkollegplätze auszubauen, eine Informationsplattform auf verschiedenen Sprachen – auch Arabisch – zu entwickeln und ins Netz zu stellen, und zusammen mit regionalen Unternehmen ausgebildete Ingenieure und Naturwissenschaftler in den Arbeitsmarkt zu vermitteln.

Interessant für viele Geflüchtete an dem Plan dürfte sein, dass auch all jenen ein Studium ermöglicht werden soll, die „nach ihrer Flucht keinerlei Zeugnisse aus ihrer Heimat vorlegen können“. Dies soll durch eine „unbürokratische“ und „komprimierte“ Aufnahmeprüfung an den beiden Studienkollegen in Kaiserslautern oder Mainz möglich sein. Technische und naturwissenschaftliche Fächer sollen die Studenten in Kaiserslautern, später an allen Hochschulen im Bundesland studieren können. Bei dem Eignungstest sollen vor allem mathematische Kenntnisse geprüft werden. Bei anderen Fächern könnte im Gespräch die „Studierfähigkeit“ getestet werden.

Wer besteht, bekommt vor der fachlichen Vorbereitung im Studienkolleg einen einjährigen Deutsch-Intensivkurs. „Man kann Flüchtlinge nicht gegenüber anderen ausländischen Bewerbern bevorteilen“, sagt Elvira Grub, Pressesprecherin der Hochschule Kaiserslautern. „Aber man kann die Fluchtnachteile der Schutzsuchenden ausgleichen. Deshalb können sie hier Deutsch nachlernen.“ Für komplett englischsprachige Master-Studiengänge entfällt der Nachweis von Deutschkenntnissen. Ob das rheinland-pfälzische Modell so umgesetzt wird, hängt jedoch noch von der Kultusministerkonferenz ab.

Ein Modell für alle

Pionier An der Kiron-Universität können Flüchtlinge sofort studieren

Mozemel Aman studiert jetzt an der Kiron-Universität, Markus Kressler hat sie gegründet Foto: David Oliveira

Der Student Markus Kressler und seine Mitstreiter wollten nicht warten, bis sich die bürokratischen Universitäten verändern. Als im Sommer noch kaum jemand darüber sprach, dass sich die Hochschulen für Flüchtlinge öffnen sollten, arbeiteten sie in Berlin bereits an einem neuen Modell – für Studenten wie Mozamel Aman. Der Afghane wollte in Deutschland studieren, seine Sprachkenntnise und sein Schulabschluss aber genügten nicht. Ein ähnlicher Fall wie der des jungen Syrers Mohammed Deaa al-Ghazawi. Kressler hatte für ihn die Lösung.

An der Kiron-Universität, die Kressler mitgründete, kann jeder Flüchtling ein kostenloses Studium aufnehmen, ohne ein einziges Dokument vorlegen zu müssen. Zwei Jahre haben die Kiron-Studenten Zeit, ihre Identität und Aufenthaltserlaubnis, Schulzeugnisse aus ihrer Heimat sowie Sprachkenntnisse nachzuweisen. Während dieser Zeit belegen sie Onlinekurse und legen Prüfungen ab. Danach kommt die Campus-Phase. Dafür wechseln sie an eine von derzeit 16 deutschen und ausländischen Partneruniversitäten, an der sie einen staatlich anerkannten Abschluss erhalten. Unter den Partnern sind die RWTH Aachen, die Universität Heilbronn und die University of Westafrica.

„Die Flüchtlinge hängen nicht zwei, drei Jahre in der Warteschleife“, sagt Kressler. Auch für die Hochschulen sieht er einen Vorteil: Bei Studienanfängern lägen die Abbruchquoten in den ersten beiden Studienjahren bei bis zu 30 Prozent. „Die freien Plätze füllen unsere Studenten auf.“

So weit die Theorie. Diesen Monat startet der Praxistest mit 1.000 Studierenden. Ist der erfolgreich, könnte die Kiron-Universität zum Modell für Bildungsminister werden und Tausenden Flüchtlingen unbürokratisch ein Studium ermöglichen. Fünf Studiengänge stehen zur Verfügung: Computerwissenschaften, Ingenieurwissenschaften, Wirtschaftswissenschaften, Architektur und Intercultural Studies. Nach einem Jahr Studium generale beginnen die Studenten mit ihren Onlinekursen auf Englisch. Für al-Ghazawi, der in Syrien kaum Englischunterricht hatte, kommt die Kiron-Universität nicht infrage. Doch vielen Flüchtlingen dürfte das Modell den schnellsten Weg bieten, ihr Studium fortzusetzen. Ein weiterer Vorteil sind die geringen Kosten: Rund 400 Euro kostet jeder Student im Jahr. Dafür erhalten sie sogar einen gebrauchten Laptop. Das erste Semester ist bereits finanziert, 175.000 Euro kamen per Crowdfunding zusammen. Günstiger ist Bildung nicht zu haben.