: Schwarzes Gold vor Rostock
MOCKUMENTARY Niki Stein erzählt eine herrliche Räuberpistole von der DDR als Beinahe-Norwegen (“Öl – Die Wahrheit über den Untergang der DDR“, ARD, 22.45 Uhr)
von Jens Müller
Es gibt Dinge, die weiß man einfach. Zum Beispiel, dass das Ende der DDR nicht zuletzt ein wirtschaftliches war – im Herbst 1989 stand der SED-Staat vor dem Bankrott. Und dass die Maueröffnung am 9. November mehr zufällig geschah als planmäßig. Man kann es in Hans-Hermann Hertles Standardwerk „Der Fall der Mauer“ nachlesen und anderswo. Was aber, wenn es in Wirklichkeit ganz anders war?
Wenn die DDR tatsächlich deshalb beerdigt wurde, weil es vor der ostdeutschen Küste gewaltige, bislang streng geheime Ölvorkommen zu erschließen gilt? Wenn Günter Schabowskis hilfloses Stammeln am 9. November in einer überhaupt nicht zufälligen Intrige des BND gründete? Wenn wir, die wir das Volk sind, ein Vierteljahrhundert lang getäuscht und 17 Millionen brave DDR-Bürger um ihren Reichtum betrogen wurden?
So bizarr das in der Zusammenfassung klingt, so beinahe plausibel erzählt es Niki Stein (Buch und Regie) in seiner herrlichen Räuberpistole „Öl. Die Wahrheit über den Untergang der DDR“.
Eine Mockumentary, also eine fiktive Dokumentation, ist dieser Film. Eine, in der Verschwörungstheorien Platz haben. Das Credo von Stein als Dokumentarist: „Wahr ist, was wir uns vorstellen können, den Beweis zu führen nur ein nachgeordnetes Problem.“
Und so erzählt Stein ebenjene vorstellbare Geschichte: Ein ehemaliger Doppelagent (Jörg Pose), der damals bei der DDR-Ölsuche mit auf dem Schiff war, will bei der investigativen Fernsehjournalistin Merle Weber (Katharina Hackhausen) auspacken: „Haiko R., der von sich immer glaubte, die Kontrolle über sein Leben zu haben; der wie ein Seiltänzer zwischen den beiden hochgerüsteten Blöcken des Kalten Kriegs hin und her wandelte; der mit dem Feuer gespielt hatte, das Risiko nicht scheute und daraus seine Erfüllung nahm – diesem Mann war mit einem Schlage klar geworden, dass er immer nur eine Marionette gewesen war. Die Fäden zogen andere.“
Diesen Kommentar aus dem Off spricht Ulrich Tukur – und er hat sich den Duktus der Doku-Sprecher perfekt angeeignet, ebenso wie Stein mit seinen Texten genau den Ton von Dokumentationen trifft, die in ihrer pathetischen Bedeutungshuberei oft hart an der Grenze zur unfreiwilligen Selbstparodie entlangschrappen. Garniert wird das mit nachgestellten Szenen und Interviews mit unkenntlich gemachten Informanten und mit prominenten Zeitzeugen wie den Journalisten Horst Hano und Peter Brinkmann – Stein zieht alle TV-Reporter-Register.
Zwischendurch scheint die Journalistin Merle Weber mit ihren Recherchen festzustecken. Sie trifft auf eine ganz andere „Geschichte, die es wert wäre, erzählt zu werden. Denn die Männer und Frauen des FIKO Rostock“ – des Fischkombinats Rostock, DDR-Bürger, die als Hochseefischer um die Welt fuhren – „waren Wanderer zwischen den Welten, in einer Zeit, in der der Eiserne Vorhang so undurchdringlich war wie das Packeis im arktischen Winter.“ Am Ende überschlagen sich die Ereignisse, Journalisten sollen sich nicht gemein machen – wie also soll Merle Weber reagieren auf der Verfolgungsjagd im Auto, wenn sie plötzlich eine Pistole in der Hand hält und gesagt bekommt: „Machen Sie das Fenster auf und schießen Sie nach hinten!“
Obwohl Mockumentaries eigentlich ein längst etabliertes Genre sind, darf „Öl“ erst um 22.45 Uhr anlaufen. Weil die besten Sendeplätze ab 20.15 Uhr in den Öffentlich-Rechtlichen eben für Krimis, Komödien oder Familiendramen reserviert sind.
Was sehr schade ist. Denn „Öl“ ist zwar eine fingierte Doku. Aber auch noch viel mehr: Krimi. Komödie. Familiendrama. Großes Fernsehen!
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