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Berlin hat London überholt

Durchstarten Wirtschaftlich geht es in der Hauptstadt bergauf. Gründer zieht es in die Stadt und damit auch Investoren. Das wirkt sich auf den Arbeitsmarkt positiv aus

Auf einem Notebook entsteht in Berlin nicht selten eine richtig gute Geschäftsidee Foto: Jörg Brüggemann/Ostkreuz

Von Annika Hennebach

Berlin ist Gründerhauptstadt. Nirgendwo in der Republik wird so häufig ein Unternehmen gegründet wie hier. So wurden laut Konjunkturbericht zur wirtschaftlichen Lage Berlins von der Senatsverwaltung im Jahr 2014 rund 41.400 Gewerbe neu errichtet, im ersten Quartal 2015 kamen weitere 10.600 hinzu. 2014 waren das 121 Unternehmensgründungen je 10.000 Einwohner – der deutsche Bundesdurchschnitt lag bei 73.

„Berlin schafft das wirtschaftliche Potenzial und den kreativen Freiraum, um seine Kar­rie­re­leiter selbst zu bestimmen – egal ob als Unternehmen oder als Angestellter“, meint Steffen Tröger, Projektleiter des Deutschen Start-up Monitors (DSM), der ausschließlich Unternehmen abbildet, die jünger als zehn Jahre sind, mit ihrer Technologie und/oder ihrem Geschäftsmodell hochinnovativ sind sowie ein signifikantes Mitarbeiter- und/oder Umsatzwachstum haben oder anstreben.

So befanden sich nach Angaben des DSM 31,1 Prozent der für die Studie befragten Start-ups 2015 in Berlin – gefolgt von München mit 11,5 und dem Raum Rhein-Ruhr mit 10,3 Prozent. Und wie das Start-up-Barometer Deutschland der Ernst & Young Wirtschaftsprüfungsgesellschaft vom August 2015 zeigt, hat Berlin die bundesweit besten Voraussetzungen für junge Gründer. Die Attraktivität machen demnach vor allem die Verfügbarkeit von qualifizierten Mitarbeitern, bezahlbaren Wohn- und Gewerberäumen und die Infrastruktur aus.

Berlin ist dabei so interna­tio­nal wie keine andere Stadt in Deutschland: Die Start-ups hier haben mit 33,7 Prozent den größten Anteil ausländischer Mitarbeiter, wie der DSM festgestellt hat. Und was die Kapitalinvestitionen angeht, liegt Berlin im ersten Quartal 2015 mit 1,445 Millionen Euro zum ersten Mal vor London (1,066 Millionen).

„Die Stadt hat sich in den vergangenen Jahren toll entwickelt. So sind beispielsweise durch die Etablierung der digitalen Wirtschaft in Berlin zahlreiche nachhaltige Arbeitsplätze entstanden“, sagt Tröger. Laut seiner Studie schaffen Start-ups nach 2,8 Jahren durchschnittlich 17,6 Arbeitsplätze inklusive Gründer. Und Berlin belegt mit einer durchschnittlichen Mitarbeiteranzahl von 25,2 weiterhin bundesweit den ersten Platz (2014: 23,2). Die Mc­Kin­sey-­Stu­die „Berlin gründet“ von 2013 geht sogar davon aus, dass bis 2020 in Berlin über 100.000 neue Arbeitsplätze durch Start-ups entstehen könnten.

Die deGUT 2015

Heute und morgen findet in Hangar 7 des ehemaligen Flughafens Tempelhof jeweils von 10 bis 18 Uhr die deGUT 2015 statt – die Deutschen Gründer- und Unternehmertage.

Die Leitmesse für Gründer und junges Unternehmertum bietet Kontaktmöglichkeiten zwischen Förderern, Mentoren und Gründungsinteressierten. Experten von Banken, Wirtschaftsverbänden, Kammern und anderen Institutionen informierten unter anderem über Finanzierungsmodelle, Versicherungsfragen, Fördermittel und Themen wie Marketing, Verkauf, Recht und Personal.

Weitere Informationen unter: www.degut.de

Christian Breitkreutz von der IHK kommentiert: „Die neuen Jobs entstehen in den Branchen, in denen auch besonders oft gegründet wird und in denen wir wachsende Märkte haben.“ Nach dem Konjunkturbericht der Senatsverwaltung 2015 sind das die wirtschaftlichen Dienstleistungen, Gastgewerbe, Information und Kommunikation sowie Handel. „Die freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen fungieren auch beim Gründungsgeschehen in Berlin als Treiber“, steht in dem Bericht. Das Start-up-Barometer von Ernst & Young 2015 spiegelt diesen Trend wider. Demnach sind die Hauptbranchen von Start-ups Software, E-Commerce sowie Advertising und Marketing. Nach Programmierern und anderen Fachkräften wird teilweise händeringend in der Stadt gesucht.

Tourismus, Software, Kreativwirtschaft und Medizintechnik nennt Karl Brenke vom DIW als Wirtschaftkräfte in Berlin, gibt aber zu bedenken: „Wir haben nicht erst in jüngster Zeit einen hohen Anteil an Selbstständigen in der Stadt.“ Und Gründer machen seiner Meinung nach nur einen geringen Teil der Selbstständigen aus, die auch noch weniger werden. So waren 2005 11 Prozent aller Selbstständigen nicht länger als 12 Monate selbstständig, 2014 waren es nur noch 6 Prozent. Der Wegfall umfassender Unterstützungen vom Arbeitsamt wie für Ich-AGs spielen laut Brenke dabei eine Rolle. Mit ihnen wurde schneller mal aus Mangel an Alternativen gegründet. Heute jedoch gibt es wieder mehr Stellen in Berlin, was auch die Erwerbstätigenzahlen zeigen, die sich laut Konjunkturbericht vom Senat seit 2014 um 1,8 Prozent auf 1,805 Mil­lio­nen erhöht haben. Hier nahmen vor allem die sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse in Berlin überdurchschnittlich stark zu.

Die meisten Deutschen haben gar nichts mit Gründungen zu tun. Lediglich 3 Prozent sind nach einer Studie der Förderbank KfW von 2013 Gründungsplaner mit realisierter Gründung oder abgebrochenen Gründungsplänen. Das schließlich ist etwas, das zur neuen Gründungs- und Start-up-Kultur gehört: das Scheitern. So wurden gegenüber den 41.418 in Berlin gegründeten Unternehmen 2014 31.615 wieder stillgelegt. Und ein Drittel der befragten Gründer in der DSM-Studie haben bereits ein gescheitertes Start-up eingestellt. Dass Fehler dazu da sind, um aus ihnen zu lernen, zeigen die FuckUp-Veranstaltungen auf Gründertreffen weltweit – so auch bei den Deutschen Gründer- und Unternehmertagen. Da wird sogar Scheitern zur Chance.

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