: Schuld ist die Finte
Nach jahrelanger Blockade hat Niedersachsen überraschend angekündigt, die Wesermündung als europäisches Naturschutzgebiet nachzumelden. Offizieller Grund: ein heringartiger Fisch, von dessen Existenz das Umweltministerium erst vor wenigen Tagen Kenntnis erlangt haben will
von Daniel Wiese
Ein kleiner, heringartiger Fisch hat beim niedersächsischen Umweltminister Hans-Heinrich Sander einen erstaunlichen Sinneswandel ausgelöst. „Untersuchungen zeigen, dass die Fischart Finte in weiten Teilen der Weser vorkommt“, sagte der Minister dem Bremer Weser Kurier. Nun wolle man die betreffenden Teile des Flusses als Naturschutzgebiet nach Brüssel melden.
Die Europäische Kommission fordert das schon seit langem, ohne Erfolg. Seit Jahren hatte sich das Land Niedersachsen gesperrt, hatte Fristen verstreichen lassen, dann wieder Gesprächsbereitschaft signalisiert – begründet hatte Niedersachsen seine renitente Haltung vor allem mit dem Hinweis, man würde mit einer Meldung die Wirtschaft im Land bei Ihren (Bau-)Vorhaben behindern. Über 250 Naturschutzgebiete nach der „Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie“ (FFH) hatte man schließlich nachgemeldet, die zwei umstrittensten Gebiete aber waren bislang nicht dabei: die Weser- und die Emsmündung. „FFH“ steht für Flora-Fauna-Habitat, so nennen sich die europäischen Naturschutzgebiete.
Der Unterhaltungswert des Vorgangs wurde dadurch erhöht, dass der Streit im Dreieck ausgetragen wurde: zwischen dem Umweltministerium in Hannover in der einen, Bundesumweltminister Jürgen Trittin und der Europäischen Kommission in Brüssel in den anderen Ecken. „100 Prozent der Weser- und Emsmündung unter Naturschutz stellen“, forderte Brüssel, Hannover dachte über 80 Prozent nach. Trittin mahnte, die zu erwartenden Strafgelder würden sofort an Niedersachsen weitergegeben. Ministerpräsident Christian Wulff konterte, er setze auf einen Umweltminister nach Trittin, der die Interessen Niedersachsens besser vertrete.
So ging es munter hin und her. Im Januar hieß es noch aus Hannover, man wolle abwarten, wie es die Franzosen mit der Meldung der Mündungen von Seine, Gironde und Loire halten würden. Als die Franzosen, durch ein knallhartes Urteil des Europäischen Gerichtshofs in einer anderen Umweltsache aufgeschreckt, einlenkten, winkte Hannover ab. Man sei mit Brüssel im Gespräch, es werde so schlimm schon nicht kommen. Frankreich war im Juli zu einer Zahlung von 20 Millionen Euro verurteilt worden, weil es sich nicht an die vorgeschriebene Größe von Fischernetzen gehalten hatte. Bei Nichtbefolgung winkte der Gerichtshof mit zusätzlichen halbjährlichen Strafgeldern von 58 Millionen Euro.
Tatsächlich lief vor wenigen Tagen eine letzte Frist der Europäischen Kommission ab. Offizielle Begründung des niedersächsischen Umweltministeriums aber ist und bleibt der Fisch Finte. „Es wird geplant, weite Teile der Wesermündung als FFH-Gebiet zu melden, aufgrund des Vorkommens der bedrohten Fischart Finte“, bestätigt ein Sprecher des niedersächsischen Umweltministers.
Der Europäischen Kommission sei bekannt gewesen, dass sich Niedersachsen auf die Suche nach der Finte gemacht habe, heißt es aus dem Umweltministerium in Hannover. „Aber da muss man erst mal angeln gehen, wo diese Fische leben.“ Im Juli schauten sich die Experten die „Larven- und Eiablagestadien“ des Fisches an, im September fahndeten sie nach den Jungtieren. Ergebnis: Finten in der Weser.
Von der Existenz dieses Fisches im Fluss habe man vorher nichts gewusst, versichert der Ministeriumssprecher, der großen Wert darauf legt, dass die Wesermündung nicht als Lebensraum geschützt werden soll, wie es die EU-Kommission verlangt. Der Schutz gelte ausschließlich der Finte und beschränke sich auf die Flussgebiete, in denen die Finte wohnt.
Ob das der Kommission in Brüssel reichen wird, ist zu bezweifeln, zumal Niedersachsen an der anderen Front, der Ems, nur wenig Bewegung zeigt. Da die Ems auch auf niederländischem Gebiet fließt, verweist das Umweltministerium in Hannover gerne auf den Nachbarn, der die Flussmündung auch nicht – wie von der Kommission gewünscht – vollständig gemeldet habe.
Am 11. Oktober trafen sich Vertreter des niederländischen, des deutschen und des niedersächsischen Umweltministeriums in Brüssel, um über Ems- und Wesermündungen zu sprechen. In einem Protokoll, das danach an Brüssel geschickt wurde, vermerkt eine offenbar leicht genervte Mitarbeiterin des Bundesumweltministeriums: „Wie bereits im Protokollentwurf ausgeführt, ist Niedersachsen bereit, im Rahmen der Deutsch-Niederländischen Grenzgewässerkommission erneut zielorientierte Gespräche über eine mögliche Meldung von FFH-Gebieten im strittigen Ems-Dollart-Bereich aufzunehmen.“
Nach großen Fortschritten klingt das nicht, doch das ist womöglich auch gar nicht gewollt. „Wir wollen einfach reden“, heißt es dazu aus dem niedersächsischen Umweltministerium. Und mit den Geldstrafen aus Brüssel werde es wohl halb so schlimm werden, schließlich seien die meisten der eingeforderten Naturschutzgebiete in Niedersachsen inzwischen nachgemeldet worden: „Weser- und Emsmündung sind ja nur ein kleiner Teil.“ Und wer weiß, vielleicht taucht die Finte irgendwann auch noch in der Ems auf.