: Argumente reichten nicht
Hellmuth Karasek beherrschte die Rollen der Kulturkritik perfekt: Er war Alphatier, Aufbegehrender und Clown – und hat vor allem unterhalten
Anhand von Hellmuth Karasek hat mir ein pragmatischer Philosoph mal die Sinnlosigkeit überdiskursiver Wahrheitskonzepte erklärt. Stellen Sie sich vor, Sie streiten sich mit Karasek über ein Buch, meinte der Dozent. Sie können noch so recht haben. Aber wenn Sie keines Ihrer Argumente rüberbringen, weil Karasek schneller ist (erster Finger), die besseren Pointen hat (zweiter Finger) und Ihnen niemand zuhört (dritter Finger), ist das auch ziemlich egal. Man kann sich sehr einsam fühlen mit seinem Rechthaben, meinte der Philosoph noch.
Es war die Zeit, als Literaturkritik noch ein Gespräch war – allermeistens ein Gespräch unter Männern, zwischen den verschiedenen Feuilletons, auf den bereitstehenden Podien – und es ziemlich festlegte Rollen gab. Es gab Weißrücken, Alphatiere, Zuträger, Diven, aufbegehrende junge Männer und Clowns. Hellmuth Karaseks Rolle war (wenn ich recht sehe) interessant. Sie konnte schnell hin und her switchen zwischen fast allen diesen Rollen. Alphatier war er allein schon qua Amt, als Kulturchef des Spiegels. Aber bis ins hohe Alter hinein konnte er auch ganz wunderbar den aufbegehrenden jungen Mann geben, der – „Einspruch, Euer Ehren“ – etwas wusste und das jetzt auch unterbringen wollte. Den Clown gab er auch gern, mit Freude am eigenen Lachen und dem Lachen anderer. Nur Grandseigneur und Weißrücken ist er nie geworden.
Deshalb funktionierte er auch im alten Literarischen Quartett so gut, neben Marcel Reich-Ranicki und Sigrid Löffler. Hier trafen drei verschiedene Charaktere aufeinander, die sich ständig gegenseitig belauerten, immer auf dem Sprung, gegen den anderen zu punkten. Die Wahrheit über die Bücher musste sich immer im Hier und Jetzt, im Diskurs eben, erweisen. Das Sprechen über Bücher war so eingebunden in eine Dramaturgie, wie man sie bis dahin nur aus amerikanischen Seifenopern kannte. Das diskursive Prinzip des hit and run: Setze deine Pointen, warte die Lacher ab, dann gehe aber sofort wieder hinter deiner ernsthaften Seite in Deckung.
Das bedeutet alles nicht, dass Hellmuth Karasek keine Argumente hatte. Aber sie reichten ihm nicht. Er wollte immer noch den Aspekt der Unterhaltung dazutun, was seine Kritiken manchmal ins Anekdotische verrutschen, sie oft aber auch etwas Öffnendes haben ließ. Er wollte sich wohl auch nie einsam fühlen. Und er ist es, was man so hört, offenbar auch nie gewesen. Dirk Knipphals
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen