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Offensive Kommunikation statt Verschleierung

Thüringen Chef der Polizeigewerkschaft kritisiert die Landesregierung. Diese verschweige Straftaten in Asylunterkünften

Brandanschlag nicht politisch?

Ein seltener Ermittlungserfolg: Vier Tage nachdem in dem Flüchtlingshaus in Altena (NRW) Feuer gelegt wurde, nahm die Polizei Tatverdächtige fest. Zwei Männer aus dem Ort, 23 und 25 Jahre, der Ältere ein Feuerwehrmann. Beide gestanden die Tat.

Dennoch stehen die Ermittler in der Kritik. Denn die Staatsanwaltschaft sprach von keinem politischen Motiv, sondern von „Verärgerung“ über den Einzug der Flüchtlinge. Auch wurde kein Haftbefehl erlassen, ermittelt wird nur wegen schwerer Brandstiftung. Dies, obwohl in dem Haus sieben syrische Flüchtlinge lebten. Die Grünen sprachen von einer „Verharmlosung“ der Tat.

Staatsanwalt Bernd Maas verteidigte sich gegenüber der taz. Das Motiv habe zwar eine „rechte Färbung“. Die Verdächtigen gehörten aber nicht zur Neonazi-Szene. Zudem hätten sie niemanden verletzen wollen und das Feuer „bewusst“ im Dachboden gelegt, nicht im Erdgeschoss. Für eine Haft fehle eine Flucht- und Wiederholungsgefahr.

Staatsanwaltschaften anderswo reagierten deutlicher. Nach Anschlägen auf bewohnte ­Unterkünfte in Groß Lüsewitz bei Rostock oder Salzhemmendorf sitzen vier Männer und eine Frau in U-Haft. Der Vorwurf: ver­suchter Mord. (ko)

DRESDEN taz | Das Gegenteil von „gut“ ist „gut gemeint“. An dieses Sprichwort erinnert der aktuelle Konflikt zwischen der Polizeigewerkschaft GdP und der rot-rot-grünen Landesregierung in Thüringen. Im Innenministerium und bei der Linksfraktion wird spekuliert, was den GdP-Landeschef Kai Christ zu der Unterstellung veranlasst haben könnte, die Regierung verschweige und verschleiere Straftaten in Flüchtlingsunterkünften und deren Umgebung. Nun stellt Christ gegenüber der taz klar, dass er nur eine offensivere Kommunikation solcher Vorkommnisse fordere. „Sonst überlässt man dieses Spielfeld der AfD“, erklärte er.

Erste Äußerungen des Polizeigewerkschafters Ende voriger Woche konnten noch dahingehend interpretiert werden, als gäbe es eine Art Maulkorb­er­lass gegenüber der Polizei. Das ist definitiv nicht der Fall, bestätigte Christ. Dennoch wiederholte er am Wochenende gegenüber verschiedenen Medien den Vorwurf, die „beinahe täglichen Straftaten“ in Unterkünften würden „systematisch verschwiegen“.

Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) spielte den Ball zurück. Er forderte alle Thüringer Polizisten auf, Straftaten von Asylbewerbern anzuzeigen. Ansonsten begingen sie Strafvereitelung im Amt.

Innenminister Holger Poppenhäger (SPD) erklärte, dass nur aus ermittlungstaktischen Gründen Ermittlungen nicht öffentlich gemacht würden. Sein Sprecher Oliver Löhr ergänzte am Montag, es stünde den regionalen Polizeiinspektionen frei, über Vorfälle im Zusammenhang mit Flüchtlingsunterkünften zu berichten. Linken-Landes- und Fraktions­chefin Susanne Hennig-Wellsow will nicht leugnen, dass es Straftaten gebe, die man aber nicht verschleiern wolle. Sie forderte den GdP-Landeschef auf, seine Behauptungen zu belegen. „Christ sollte bemerkt haben, dass er sonst Stimmung auf dem Rücken von Flüchtlingen und Polizisten macht“, sagte sie am Montag.

Das wolle er verhindern, versichert Christ. Es sei erklärlich, dass es wegen der angespannten Situation vieler Flüchtlinge zu Kurzschlüssen komme. „Wir müssen bei dem Bevölkerungszuwachs auch mit der einen oder anderen Straftat mehr leben!“ Alarmiert hat Christ die Antwort auf eine AfD-Landtags­anfrage, wonach es bis September 1.743 Vorfälle mit Flüchtlingen gegeben haben soll, davon 633 in Unterkünften. „Wenn sonst niemand etwas dazu sagt, bedient man Gerüchte in der Bevölkerung“, rechtfertigt er seine Äußerungen.

Innenministeriumssprecher Löhr stellt aber klar, dass es sich dabei um sogenannte Erstmeldungen handelt, worunter auch Arzt-Notrufe fallen. Davon gab es in diesem Dreivierteljahreszeitraum über 110.000 in Thüringen. Eine verlässliche Kriminalitätsstatistik sei in der gegenwärtigen Situation kaum zu erstellen. Kai Christ will allerdings über Angaben verfügen, wie viele Fälle die Polizei selbst angezeigt hat. Veröffentlichen will er sie nicht, nur im Innenausschuss Rede und Antwort stehen, „weil wir sonst der AfD wieder Futter geben“.

Michael Bartsch

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