: Noch kein Jürgen Klopp der SPD
SPD-Kongress Sigmar Gabriel wirft der Union in der Flüchtlingspolitik „Hilflosigkeit“ vor und bietet Merkel Asyl an. In Mainz suchte seine Partei aber selbst nach ihrem Kurs
von Alina Leimbach
Auf dem Fußballplatz von Mainz 05 wurde schon Geschichte geschrieben. Der Mainzer Verein gab sich in Zeiten der Krise eine neue Richtung und schuf damit den Grundstein für eine der bedeutendsten Karrieren des deutschen Fußballs: Er erkor Jürgen Klopp zum Trainer, obwohl dieser damals noch nicht einmal eine offizielle Lizenz dazu hatte.
Kein schlechter Ort für die SPD, um über ihr Leitbild zu diskutieren. Aber wer ist der Jürgen Klopp der SPD? Die Zweifel, dass Sigmar Gabriel das Zeug dazu hat, wollen nicht verstummen.
Nach einem Jahrzehnt des Umfragetiefs nach dem neoliberalen Umbruch suchte die Parteiführung in der Mainzer Fußballarena am Wochenende mit ihrer Basis nach der Form für die nächste Dekade – und nach einem Weg, die Bundestagswahl 2017 mit mehr als 25 Prozent abzuschließen. Aber wie? In einem Papier mit dem Titel „Starke Ideen für Deutschland 2025“ wirbt das SPD-Präsidium um die „arbeitende Mitte“ – um jene, wie es dort heißt, die gemäß Bill Clinton „hart arbeiten und nach den Regeln spielen“. Von Chancen, Rechten und Pflichten ist an zentraler Stelle die Rede, auch von Heimat und Geborgenheit und sogar einem positiven Verhältnis zum Patriotismus. Dass sich die SPD für Sicherheit und gegen Kriminalität, Gewalt und Terror einsetzt, steht noch vor dem Punkt „höhere Einkommen“. Das alles erinnert ein wenig an New Labour.
Das Impulspapier war vorab zur Debatte gestellt worden und hatte Kritik vom linken Flügel auf sich gezogen. In einem Gegenpapier warnen Matthias Miersch, Vorstandsmitglied Ralf Stegner und die Juso-Vorsitzenden Johanna Uekermann davor, die Partei mittiger auszurichten. „Gerechtigkeit ist und bleibt die Kernkompetenz der Sozialdemokratie“, sagen sie.
Die Erwartungen an den Sonntag waren deshalb gemischt. Einerseits rechnen es einige der Partei hoch an, dass sie den Perspektivkongress auch Nichtmitgliedern geöffnet hat. Aber nicht alle erwarten sich große Kurswechsel.
Sigmar Gabriel kommt auf der Perspektivdebatte nicht um das Thema der Zuwanderung durch Flüchtlinge herum. Er positioniert die Partei bei dem Thema als die, die die Sorgen der „einfachen Bürger“ ernst nimmt. Merkels Flüchtlingskurs und ihr „Wir schaffen das“ bezeichnet er genauso wie Seehofers Eintreten für mehr Grenzen als „augenscheinlich hilflos“. Anders als der Innenminister, der offiziell unverändert mit 800.000 Asylsuchenden rechnet, erwartet der Vizekanzler in diesem Jahr mehr als eine Million Flüchtlinge in Deutschland. Jeder wisse, dass Deutschland „nicht bedingungslos und auf Dauer“ jährlich mehr als eine Million Menschen aufnehmen könne, sagt Gabriel. „Auch Angela Merkel weiß das, aber sie spricht es nicht aus“, kritisiert er.
Auch müsse seine Partei eigene Antworten liefern, wie die Integration der vielen Flüchtlinge zu schaffen sei. „Dazu schweigt die Union. Und deshalb müssen wir sprechen“, rief Gabriel zu mehr Klartext auf. Und noch einen Seitenhieb hob er sich für den Schluss auf. „Wir geben Frau Merkel, solange sie sozialdemokratische Politik macht, immer Asyl in unserer Partei“, sagte er gönnerhaft.
Gabriel zeichnete die SPD in seiner Rede als „Handwerker“ mit Expertise für reibungsloses Regieren. Oft fallen Wörter wie „rationell“, „pragmatisch“. Doch da, wo er mehr an das Herz appellierte und darüber sprach, dass er den Mindestlohn nicht abschaffen wolle für Flüchtlinge und dass man beim Wohnungsbau niemanden gegeneinander ausspielen solle, da erntet er am meisten Applaus von den insgesamt fast 1.000 Anwesenden.
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