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Verband der Bauern protestiert

Rosa-Sticker

Die Kartoffelgröße ist angeblich ein agrarischer Intelligenzindikator. Demzufolge müssten die Roder der Mitglieder des Schleswig-Holsteinischen Bauernverbandes dieses Jahr rekordverdächtige Kaventsmänner aus den Acker gerissen haben: Seit Donnerstag macht die Organisation mit einer Aufkleberkampagne bei Supermärkten und Discountern auf den maßgeblich durch ihre eigene Politik ausgelösten Preisverfall der Produkte ihrer Mitglieder aufmerksam: „Ich bin mehr wert, als du für mich bezahlen musst“, steht, in weißer Schrift auf den rosa Stickern, die von Landwirten auf Milch-Tetrapaks und eingeschweißtes Bauernglück-Fleisch gepappt werden. Vermutlich, um den VerbraucherInnen ein schlechtes Gewissen zu machen.

Klar haben sie das Recht, das zu beklagen. Auch Aldi-Nord hat da vollstes Verständnis für die Rohstoffproduzenten ihrer Zulieferer, lässt der Konzern wissen, aber „der Lebensmitteleinzelhandel“, so ein Unternehmenssprecher, könne die „preisbildenden Faktoren nicht beeinflussen“.

Gleiches hört man von den Großmolkereien, die behaupten, dass der Weltmarkt für den Preis verantwortlich ist, ein Megawort för ’n lütt Ding: Der Weltmarkt für Milch etwa hat ein Handelsvolumen von knapp neun Millionen Tonnen. Zum Vergleich: Das Bremer Deutsche Milchkontor (DMK), vormals Nordmilch, Deutschlands größte und Europas viertgrößte Molkerei, hat vergangenes Jahr 6,8 Millionen Tonnen Milch verarbeitet. Der EU-Anteil am Weltmarkt liegt bei einem Viertel. Und weil die Europäer – also die europäischen Molkereien – ihre Butter zu Dumpingpreisen ins Land drücken, haben die USA die Zölle um 30 Prozent erhöht – am selben Tag, an dem die Bauernverbandskampagne losging.

So schuldlos wie die Großmolkereien – das DMK, zu dem der Vizepräsident des niedersächsischen Landvolks zu wechseln angekündigt hat, der Milchindustrieverband und der Bundesverband der privaten Milchwirtschaft sind ja seine Mitglieder – darf sich auch der Deutsche Bauernverband fühlen und sein Ableger in Schleswig-Holstein: Jahrzehntelang predigt er die Ideologie des Wachstums oder Weichens, kämpft für eine arbeitsteilige Landwirtschaft. Dass eine Umstellung auf industrielle Massenherstellung die Menge des Produkts steigert und seine Preise sinken lässt, war schon ökonomisches Grundwissen, als Karl Marx noch in die Windeln schiss.

Jetzt mobilisiert also der Verband sein Fußvolk, um mit rosa Stickern die absehbaren Folgen seiner Strategie zu bejammern – also: So richtig schlau wirkt das nicht. bes

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