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Archiv-Artikel

„Interkulturelle Aspekte kommen zu kurz“

Bögers Rahmenplanentwurf für das Fach Ethik ist nicht nah genug am Alltag der Berliner Schüler, behaupten Kritiker. PDS, SPD und Grüne suchen deshalb im „Forum Gemeinsames Wertefach für Berlin“ nach passenderen Lösungen

taz: Frau Schaub, kennen Sie den Rahmenplan, den der Schulsenator heute den Kirchen präsentiert?

Siglinde Schaub: Ja, aber erst seit vergangenem Donnerstag. Es ist auch etwas ungewöhnlich, dass das Gespräch in der Koalitionsrunde Bildung erst nach dem Gespräch mit den Kirchen stattfindet. Wir haben früh versucht, uns in diesen Prozess einzuklinken und sind deutlich ausgebremst worden.

Sie haben das „Forum gemeinsames Wertefach für Berlin“ mitgegründet. Mit welchem Ziel?

Wir sind davon ausgegangen, dass eine solche Veränderung in den Berliner Schulen die ganze Stadt bewegt. Das war ja auch wahrnehmbar in der Öffentlichkeit, als im Frühjahr die Einführung des neuen Faches feststand. Deshalb wollen wir mit Öffentlichkeit reagieren und möglichst viele Menschen, Experten und Gremien in die Diskussion um das neue Fach einbeziehen. Zuerst bei unserer öffentlichen Auftaktveranstaltung am 21. 11. im Abgeordnetenhaus.

Wollen Sie einen Gegenentwurf zum Rahmenplan des Schulsenators entwickeln?

Es ist nicht die Aufgabe des Forums, einen Rahmenplan zu schreiben. Es ist natürlich die Aufgabe der Verwaltung, dafür eine Kommission zu berufen, und so hat es ja auch stattgefunden. Es ist nur schade, dass das von Seiten der Senatsverwaltung im Alleingang geschah.

Was sind die gemeinsamen Werte der Forumsgründer?

Wir sind uns einig, dass das neue Fach der Tatsache Rechnung tragen muss, dass in Berlin Menschen aus mehr als 130 Nationen leben. Kinder, die in dieser Stadt leben und aufwachsen, die hier zu Jugendlichen und Erwachsenen heranwachsen, sollten lernen, wie man friedlich und tolerant miteinander lebt.

Will Herr Böger denn etwas anderes?

Es gibt keinen offenen Widerspruch, aber sein Rahmenplan ist sehr deutlich in Schmalspur auf Ethik konzentriert. Fragen der Lebensgestaltung, Verweise auf die vielen Nationen, die in Berlin zusammenleben – dieser interkulturelle Aspekt fehlt nicht völlig, aber der ist einfach unterbelichtet. Im Rahmenplan ist wirklich nur drin, was draufsteht, nämlich Ethik, und auch das noch ziemlich einseitig philosophisch.

Und Sie wollen einen engeren Bezug zu Themen, die in der Stadt diskutiert werden, wie derzeit zum Beispiel Zwangsverheiratungen?

Ja, ganz genau. Das ist auch jetzt nicht ausgeklammert, aber es kommt zu kurz. Auch das Thema Religion kommt im Entwurf der Schulverwaltung nur sehr wenig vor. Wir wünschen uns aber, dass Wissen über Religion vermittelt wird, dass Debatte über Religion in diesem Fach stattfindet. Mindestens die vier großen Weltreligionen müssen Platz haben. Das hat ja auch sehr viel mit Verständnis von Kultur zu tun.

Der Lehrplan ist Ihnen also für Berlin zu monokulturell?

Der kulturelle Aspekt, der kulturwissenschaftliche Bezugspunkt fehlt jedenfalls völlig, ebenso wie der sozialpädagogische. Die Verfasser des Lehrplanes haben scheinbar ihre Erfahrungen aus dem Lehrplan für das Fach Ethik-Philosophie nicht überwinden können. Sie hätten außerdem bedenken sollen, dass der Ethikunterricht auch an Haupt- und Realschulen stattfinden soll, und zwar mit Gruppen, die das Fach nicht freiwillig gewählt haben. Eine Berliner Spezifik kann ich an dem Rahmenplan nicht entdecken. Gerade in Bezug auf Religion bleibt er hinter den Lehrplänen anderer Bundesländer zurück, die Ethik als Ersatz für Religion unterrichten.

Interview: Alke Wierth