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Kein Flop am Fluss

BUGA 2015 Die Bundesgartenschau entlang der Havel geht Sonntag zu Ende. Es kamen weniger Besucher als erwartet. Zurück bleiben Schulden und die Fragen nach den Ursachen dafür. Dabei war das dezentrale Konzept mit fünf Standorten in zwei Ländern innovativ

von Rolf Lautenschläger

In Stölln erinnert viel an Abstürze und hochfliegende Pläne. In dem Städtchen im Rhinower Havelland rund 80 Kilometer westlich von Berlin erfasste am 9. August 1896 eine Böe Otto Lilienthal. Der Flugpionier brachte seinen „Flugapparat Nr. 1“ nicht mehr unter Kontrolle und schlug aus 15 Meter Höhe am Boden auf. Der Sturz vom Gollenberg war tödlich.

Einen Steinwurf entfernt von der Absturzstelle steht zwischen Blumenrabatten auf dem Gelände der Bundesgartenschau 2015 ein Langstreckenjet vom Typ Iljuschin 62 (IL62). Am23. Oktober 1989 setzte die Maschine der DDR-Fluggesellschaft Interflug auf der Graspiste des Segelflugplatzes Stölln auf, verunglückte dabei fast und kam dann doch auf der 860 Meter langen Wiese zum Stehen. Die IL62 und der „Genosse Flugkapitän“ Kallbach kamen damit ins Guinnessbuch der Rekorde, benötigt die Passagiermaschine doch sonst fast 2.000 Meter Landebahn.

Stölln samt Lilienthal und der IL62 gehört zu den fünf Städten der diesjährigen „Buga 2015“, in denen die Bundesgartenschau erstmals in ihrer 50 Jahre alten Geschichte eine Stadt- und Landesgrenzen überschreitende Schau veranstaltet hat. Am Sonntag geht die „Havel-Buga“ in den Städten Brandenburg/Havel, Rathenow, Premnitz, Stölln und in der Hansestadt Havelberg (Sachsen-Anhalt) nach sechs Monaten zu Ende. Unter den Veranstaltern ist man nicht sicher, ob die Schau über eine Länge von 80 Kilometer entlang den Ufern der Havel ein Absturz oder ein Auftrieb für die Region bedeutete.

Dietlind Tiemann (CDU), Vorsitzende des Buga-Zweckverbands und Bürgermeisterin von Brandenburg/Havel, hat zwar am vergangenen Donnerstag die einmillionste Besucherin mit Glückwünschen begrüßt. Tiemann räumte aber zugleich ein, dass die Buga „mit 1,5 Millionen Touristen gerechnet“ hätte. „Rund ein Drittel“ der erwarteten Besucher sei ausge­blieben. Die Buga ein Flop?

Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist die Havel-Buga in eine folgenreiche Schieflage gerutscht. Das Besucherdefizit zieht noch weitere Millionen-Konsequenzen nach sich und wirft Fragen auf. Denn weil zu wenig Tickets verkauft wurden, endet die Bundesgartenschau wohl mit einem Verlust von 12 Millionen Euro, wie Havelbergs Bürgermeister Bernd Poloski ausgerechnet hat. Bisher war der Zweckverband von einem Defizit von 10,2 Millionen Euro ausgegangen, nachdem sich andeutete, dass die Kalkulation von rund 100.000 Euro an Einnahmen täglich nicht aufgehen wird.

Leere Taschen überall

Alles Buga

Die Buga 2015 wird vom18. April bis 11. Oktober 2015 in 2 Bundesländern, an 5 Standorten mit 9 Ausstellungsbereichen veranstaltet.

Die „Havelregion als Erlebnisraum“ erstreckt sich auf 80 km Länge. 1 Million Blumen und Pflanzen werden in über 30 Hallenschauen und 50 Themengärten gezeigt. Es gibt 1.000 kulturelle Veranstaltungen.

Die Besucherzahl liegt bei rund 1 Million, 1,5 Millionen wurden erwartet. Die Gesamtausstellungsfläche umfasst 55 Hektar.

Nach dem Ende werden Buga-Standorte in Rathenow und Brandenburg erhalten, einige aber auch zurückgebaut. (rola)

Woher das Geld für den Ausgleich des Minus kommen soll, ist zwar gesetzlich geregelt. Nur, die Taschen sind leer: Über 35 Millionen Euro schulterten die Länder Brandenburg und Sachsen-Anhalt sowie die Kommunen für die 55 Hektar Ausstellungsflächen und Themengärten. Für das Defizit sollen die beteiligten Kommunen jetzt allein einstehen und die Miesen aus Steuergeldern ausgleichen.

Und es gibt Streit: Die Brandenburger SPD-Politikerin Britta Kornmesser, Mitglied im Buga-Vorstand, wirft dem Zweckverband in Sachen Finanzen gar eine Verschleierungstaktik vor. Sie sei als Vorstandsmitglied über das anschwellende Ausmaß des Defizits – erst 4, dann 10 jetzt 12 Millionen Euro – nicht informiert worden. Kornmesser warf im September hin und trat aus dem Vorstand-Gremium zurück.

Für das Defizit gibt es Gründe. Ein Grund ist schlicht, dass die Buga Pech hatte: Wegen der wochenlangen Bahnstreiks 2015 wurden öffentliche Verbindungen in die Buga-Standorte gekappt. Extreme Wetterbedingungen wie die Hitzewelle im Sommer und starke Unwetter führten gleichfalls zu Ausfällen. Der Buga-Park in Rathenow etwa hätte im Frühsommer wegen eines tödlichen Unfalls und Schäden nach einem Gewitter für zwei Wochen schließen müssen.

In die eigene Verantwortung dagegen fällt, dass die Infrastrukturen zwischen den Buga-Standorten nicht immer optimal ausgebaut waren. Eine Fahrt mit dem Rad entlang der Havel konnte schon einmal durstig und in einer Sackgasse enden. Fährverbindungen waren manchmal Glückssache. Hinzu kam, dass die touristisch-kommerziellen Highlights wie der Brandenburger Marienberg mit der gläsernen Friedenswarte oder der Optikpark in Rathenow die peripheren Standorte in den Schatten stellten. Überfordern konnte Besucher zudem die Frage: „In welche Buga-Stadt soll man zuerst gehen?“ Kein Konzept nirgends?

Unberührte Landschaft

Aus der Perspektive der Landschaftsarchitektur, der Freiraum- und Stadtentwicklung gilt die Havel-Buga wegen ihrer fünf Standorte als großer Erfolg. Als wesentliches Argument dafür wertet Tiemann das „dezentrale und überregionale Konzept“. Statt der Umgestaltung einer Industriekulisse zum Park wie in Gelsenkirchen 1997 oder eines Kasernenareals zum neuen Stadtteil (Potsdam 2001), sei man an der Havel innovative, alternative, ja experimentelle Wege gegangen. „Für eine ganze Region und für eine so neue Idee“ sei ein Konzept entwickelt worden, das andere Bundesgartenschauen so noch nicht präsentieren konnten.

Bedeutete die Schau einen Absturz oder einen Auftrieb fürdie Region?

Was stimmt. Wer das „Buga-Band“ entlang der Havel mit dem Rad vom Dom in Havelberg bis hinunter nach Brandenburg fuhr – über die Optikerstadt Rathenow, den Kunstraum Premnitz, die Wiege der Fliegerei in Stölln sowie durch die Industrie- und Wasserlandschaft rund um die Stadt Brandenburg –, der begegnete ganz unterschiedlichen Konzepten. Neben den üblichen Blumenrabatten wurde man mit einer noch weitgehend unberührten Naturlandschaft und einer über tausendjährigen Kultur-, Wissenschafts- und Siedlungsgeschichte der Havelregion konfrontiert.

An den Buga-Standorten selbst wurde das Archipel-Modell multipliziert, führte die Buga etwa in Brandenburg/Havel doch vom historischen Stadtkern auf der Stadtinsel und dem Dombezirk durch gleich mehrere Parks sowie an der Havel entlang. Die Buga als Städtetour, mehrtägige Wander- oder Radtour – das war neu. Der neue regionale Ansatz habe zudem den fünf benachbarten Städten geholfen, sie „inspiriert“, meint der Landschaftsplaner und Verleger Thies Schröder. Ohne die Regionen-Buga hätten die Städte allein nie die Chance gehabt, zu einer Bundesgartenschau zu avancieren. Den Konflikt zwischen Konzept und Kapital sieht auch Schröder: „Das regionale Prinzip gilt unter Planern als innovativ, unter Kaufleuten als äußerst problematisch.“

Als Profiteure beiderseits sehen sich manche Havelländer: In der Gemeinde Rhinow/Stölln steht Buga-Mitarbeiter Achim Altenburg vor dem Info-Pavillon und erzählt jedem, der es wissen will, von der IL62, Otto Lilienthals Flugversuchen sowie der Geschichte des Rhinower Landes und seiner Bewohner, die der Alte Fritz schon bewunderte. „Wer weiß denn schon viel darüber, dass in jener Zeit das Land hier kultiviert wurde? Seit der Buga ist die Gegend bekannter als früher und zieht Besucher an.“ Und Arbeitsplätze seien auch abgefallen. Ein paar wenigstens. Bis zum Buga-Ende am Sonntag.

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