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Archiv der Zeitzeugnisse

Dokumente Das Kino Arsenal zeigt in der Reihe „Asynchron“ Dokumentar- und Experimentalfilme zum Holocaust

von Silvia Hallensleben

Es wird nicht mehr lange sein, dann sind die lebendigen Stimmen der ehemaligen Lagerhäftlinge und Opfer nationalsozialistischer Verfolgung ganz verstummt. Was bleibt, sind die familiär überlieferten oder technisch aufgezeichneten Zeugnisse ihrer Geschichten. Viele davon wurden aufgearbeitet zu Dokumentarfilmen, die so trotz ihrer unbestreitbaren künstlerischen Bedeutung so im Lauf der Zeit immer stärker auch selbst zu historischen Quellen wurden.

Viele von ihnen waren in den letzten Jahrzehnten im Internationalen Forum des Jungen Films der Berlinale zu sehen und haben wohl mehr als eine Generation mit emotional vertieften Einsichten in die Geschichte der Schoah und ihrer Folgen versorgt. Die Kopien dieser Filme liegen, das ist Politik des Forums, immer noch im Archiv. Doch viele von ihnen können dennoch nicht verliehen werden, weil Rechtsfragen ungeklärt sind oder das Film- und Videomaterial vom Zahn der Zeit beschädigt.

So entstand die Idee, den im Januar dieses Jahres begangenen siebzigsten Jahrestag der Befreiung des KZ Ausch­witz produktiv zu nutzen, um zumindest einen Teil dieser Filme wieder für die praktische kulturelle, wissenschaftliche und pädagogische Nutzung bereitzustellen. Im Zentrum stand dabei ein Pool von etwa fünfzig Filmen zum Holocaust, die durch Neuverhandlung der Rechte und technische Aufbereitung für den Verleih fit gemacht und in einem ausführlichen Katalog dokumentiert und angeboten wurden. Zehn von ihnen sollten auch neue digitale Vorführkopien zur vereinfachten nicht kommerziellen Nutzung bekommen. Jetzt ist es endlich so weit, und die fertiggestellten Digitalisate werden – ganz nach Plan – ab dem 1. Oktober zuerst im Kino Arsenal mit einem ausführlichen Rahmenprogramm vorgestellt und reisen dann in einer Tournee durch viele Kinos der Republik.

Synthetische Schnipselfilme à la Guido Knopp oder Steven Spielberg sind nicht dabei. Doch jenseits solcher Einschränkung ist das Spektrum der Filme breit aufgestellt und reicht formal vom klassischen Interview-Dokumentarfilm (Par­ti­sans of Vilna, R: Josh Waletzky, USA 1986) bis zur offenen Recherche („Totschweigen“, R: Margareta Heinrich und Eduard Erne, A, D, NL 1994), in der Enstehungszeit von dem 1975 in Israel kollektiv produzierten Archiv-Kompilations-Schocker „Der 81.Schlag” (1975, am Freitag um 21 Uhr) bis zu Paul Rosdys eindringlichem Filmporträt „Der letzte Jude von Drohobythsch” aus dem Jahr 2011, das das Programm heute Abend in Anwesenheit des Regisseurs eröffnet.

Synthetische ­Schnipselfilme à la Guido Knopp oder Steven Spielberg sind nicht im Programm

Dabei steht etwa „Dark Lullabies” (R: Irene Lilienheim Angelico und Abbey Neidik, 1985) paradigmatisch als Ausgangspunkt für das ganze Subgenre der persönlichen Familienerforschung und Konfrontation mit Nachfahren der Nazi-Täter. Ähnlich Claude Lanzmanns Neunstünder „Shoah”, der mit dem völligen Verzicht auf illustrierende Bebilderung den Umgang mit dem Sujet 1985 neu bestimmte und zu einem Meilenstein der Filmgeschichte wurde (in zwei Teilen Samstag und Sonntag). Zur inhaltlichen Ergänzung kommt „Sobibor, 14. Oktober 1943, 16 Uhr”, in dem Lanzmann damals ursprünglich auch für „Shoah” gedrehtes Material zum Aufstand in dem dortigen Lager zu einem eigenem Film ausklammerte, um auch dem jüdischen Widerstand eine vernehmbare Stimme zu geben.

Beendet wird das Berliner „Asynchron“-Programm am 9. November mit Erwin Leisers Zeitzeugen-Film „Die Feuerprobe” (1988), der in ausführlichen Statements einige der Opfer der Novemberpogrome von 1938 zu Wort kommen lässt, darunter auch Leiser selbst. Dabei lässt sich einiges über politische Strategien lernen, denn es wird sehr deutlich, dass es sich bei den gewalttätigen Übergriffen um eine geschickt gesteuerte und keinesfalls spontane Kampagne handelte. Bleibt nur zu hoffen, dass das Konzept der Reihe aufgeht und sich auch nach Beendigung der Tournee von Potsdam bis Freiburg viele Muliplikatoren aus Kultur, Forschung und Bildung aus dem bereitgestellten reichen Fundus bedienen.

Filmreihe Asynchron: Dokumentar- und Experimentalfilme zum Holocaust, 1. 10.–9. 11., Kino Arsenal; Podiumsdiskussion „Medium und Überlieferung - Zeugenschaft des Holocausts”: 2. 10., 19 Uhr, moderiert von Knut Elstermann, www.arse­nal-berlin.de

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