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Im Anwohnerpark

MANJA PRÄKELS

Teil 4: Die Nacht ist hell erleuchtet

Peng! Die Explosionen wurden greller, bunter, schriller. Bäm! Ein stechender Schmerz durchfuhr Lales Stirn. Krabumm! War das die Sonne? Eine Lichterkette? Sie streckte alle viere von sich. Ja, das tat gut. Da schoss es ihr wieder ins Bewusstsein: Wie die Flügel aus Djangos Rücken rausgekommen waren – Flatsch! Flatsch! – das Jackett zerrissen und ihre zauberhafte Glitzerpracht im ganzen Raum entfaltet hatten. Ein zirpendes Geräusch war mit dieser Verwandlung einhergegangen und der irre Duft von frischem Gras.

Die vorbeieilenden Passanten kümmerte der Anblick des vorm blaulicht liegenden Mädchens so wenig wie der Annes, deren Rücken unter dem Gewicht einer großen Gemüsekiste ächzte, knackte, revoltierte. Das Rudertraining, damals, im Osten, war noch viel härter gewesen als das. Schwer zu sagen, was sie mehr hasste. Sie trug ihre Bürde souverän in den Bioladen, schnaufte kurz durch und setzte sich auf eine letzte Zigarette vor die Tür. „Wie im Tunnel.“ Die Menschen liefen wie ferngesteuerte Wesen an ihr vorüber, als zöge sie eine unsichtbare Macht aus ihren weiß getünchten Ladenbüros heraus auf die Straße, durch den Discounter, hinein in die weißen Wohnküchen.

Mein Herz ist ein Bernstein.

Die Fliege schläft nur.

Schlägt sie einst mit den Flügeln, bin ich fort.

Die Klosprüche waren auch schon mal lustiger gewesen. Hildegard kniete auf dem Fliesenboden und wischte. Gäste hatten sich beschwert. Keiner von den Stammkunden, aber einer von denen war schuld am Malheur: Statt ihr wegen der Verstopfung Bescheid zu geben, hatte es sich einer noch mal richtig drüber gemütlich gemacht. Prima! Und nun stand die Suppe im Keller.

„Hildchen, zahlen!“

„Ja, Mann. Ick komme.“

Je später die Schicht, desto blöder die Gäste. Bis auf den Psychopathen, der war einfach still und trank. Drehte den Kopf nicht nach links, nicht nach rechts. Einer, der warten konnte. Keiner von den Meckerern. Und nie und nimmer Schnaps.

„Im Grunde genommen hat er recht“, dachte Hildegard, während sie den Pümpel vorsichtig in das Abflussrohr drückte. Im Laufe weniger Schnäpse verwandeln sich Freunde in Feinde. Oder umgekehrt? Nun, es stimmte schon, er hatte eine beunruhigende Ausstrahlung. Aber man gewöhnt sich an alles. Hildegard stellte sich einfach vor, dass der Psychopath seinen Blick auf einen bestimmten Punkt im Universum konzentrierte. Wenn er mal wieder durch sie hindurchstarrte, machte die Wirtin ein verträumtes Gesicht und dachte an die Unendlichkeit … Huch, was hing denn da am Pümpel?

Foto: Nane Diehl

Manja Präkels, Jg. 1974, schreibt, singt und tourt mit ihrer Band „Der Singende Tresen“. Soeben erschien beim Verbrecher-Verlag die von ihr mit Markus Liske herausgegebene Textsammlung „Vorsicht Volk!“. Seit 2009 betreiben die beiden die Gedankenmanufaktur WORT & TON. Ihr Romandebüt „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“ erscheint 2016.

Illustriert wird die „Im Anwohnerpark“-Serie von Maria MacDonald, cargocollective.com

Django hockte vorm Supermarkt und versuchte, sich zu erinnern. Vergeblich. Er spürte einen merkwürdigen Schmerz der Schulterblätter. Das Jackett war am Rücken vollkommen zerrissen. Seit sie die alte Kaufhalle renoviert hatten, dröhnten Dudelmusik und blinkende Diskolichter aus ihrem Inneren hervor. Da, wo einst Verliebte einander im Schummerlicht abknutschten, saß man nun wie auf einer Bühne. Sie hatten die müffelnde Rumpelbude – wie andernorts auch – in einen keimfreien Warentempel verwandelt. Wann war das bloß geschehen? Django fiel’s nicht ein. Er wollte fliehen, aber wohin? Bei Kalle galt für ihn Hausverbot, im blaulichtangeblich auch. Dem Wirt vom Anker hatte er letztens Prügel angeboten und im Zweieck lag ein seit Wochen unbeglichener Deckel. Der beste Gitarrist aller Zeiten kramte in seinen Taschen nach Kleingeld. Irgendwas würde schon klappen. Klappte immer.

Den ganzen Tag über war es Anne erschienen, als bewegten sich die Zeiger der Uhr hastiger als sonst. Hatte sie irgendwas verpasst? Die Kinder klangen ganz normal am Telefon. „Och, Mama. Wir sind doch keine Babys mehr!“ Zum Glück. Anne schloss den Bioladen ab, klappte die Schirme ein und lief eilig zum Supermarkt rüber. Der Große brauchte Schnellhefter. Ein satter, gelber Mond stand hoch über der Leuchtreklame. Für einen Moment blieb Anne stehen und schaute nach oben. Sie dachte an den Kürbis, den die Jungs letztes Jahr ins Fenster gestellt hatten. „Überraschung!“ Keine Stunde später stand die neue Nachbarin entgeistert vor der Tür: „Entfernen sie das! Sofort!“ Die Jungs hatten sich nicht mehr eingekriegt. Seitdem hieß die Nachbarin Frau Hase …

„Sorry, sorry!“ Der Komponist war einfach in sie hineingestolpert, dieser Krummläufer. „Bis du blind?!“ Immer vornübergebeugt, Blick auf das Pflaster, wie sonst auf die Tasten, lief dieser Typ wie abgestellt durch die Gegend. Die Leute im Laden munkelten, er sei ziemlich berühmt. Verdutzt standen sie nun vor verschlossenen Türen. „Mist, zu spät.“

„Und dann hisssste meine Madam die Sssegel!“ Sprottenpeter war gut in Fahrt. Er erzählte zwar immer dieselben ollen Kamellen, aber sein darstellerisches Talent ließ keine Langeweile aufkommen. Fritze verstand nichts vom Segeln. Er genoss es, mit Heiner Müller Schach zu spielen. Auch, wenn er selbst ganze Nächte mit seinen Erinnerungen und fabelhaften Flunkereien zu füllen vermochte: Hier wurde geschwiegen. Der Lärm ringsum, das zunehmende Gewusel der Nacht, die immer neue Gäste ins Kneipeninnere schaufelte, ließ die beiden mittenmang ungerührt. Zug um Zug leerten sie ihre Gläser, versunken im Spiel. Einzig die süße Stimme Lales hätte sie noch erreichen können. Wortlos waren sie sich einig: Das Mädchen stand auf der Kippe. Erst neulich hatte sie, während der Nachtschicht, jedem Gast ungefragt erzählt, wie sie mit dem irren Gitarrero über die Dächer geflogen sei. „Es war ganz leicht!“ Genau. Und alle Menschen werden Brüder.

Hildegard blickte fasziniert auf das Fundstück in ihrer Hand. Seltsam. Dass ihr so was … im Klo! Schnell verbarg sie den Schatz in der Hosentasche. Bloß nichts erzählen! Niemandem!

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