Neues aus der Berliner Klangforschung

BASSMUSIK Knisternde Trockenheit, Bilder von verlassenen Kellergewölben: Der Musiker Grischa Lichtenberger geht auf seinem neuen Album an die Grenzen des Groove, der Produzent Jens Massel alias Senking taucht ins untere Frequenzspektrum ab

Der Bass schrammt aggressiv angezerrt durch scheinbar bodenlose Gegenden

Sind bildende Künstler die besseren Musiker? Lässt sich selbstverständlich nicht so einfach sagen, aber dass das eine das andere keinesfalls ausschließt, haben schon Pete Townshend, Bryan Ferry, Marc Almond oder Jarvis Cocker erfolgreich vorgemacht. Sie alle erhielten ihre akademische Ausbildung an Kunsthochschulen, bevor sie ins Popgeschäft einstiegen.

Bildende Künstler, die zugleich als Musiker arbeiten, gibt es inzwischen auch immer mehr. Das in Chemnitz gegründete, vor einigen Jahren nach Berlin umgezogene Label Raster-Noton wurde gar von einem Künstler, Carsten Nicolai, mitgegründet. Und hat den einen oder anderen musizierenden Kollegen im Programm. Grischa Lichtenberger aus Berlin etwa, der, 1983 geboren, ein bis zwei Generationen jünger ist als Nicolai und jetzt sein zweites Album auf Raster-Noton veröffentlicht.

Der etwas rätselhafte Titel „la demeure; il y a péril en la demeure“ spielt mit der juristischen Wendung „Gefahr in Verzug“, auf Französisch eben „péril en la demeure“. Wobei „demeure“ unter anderem Wohnung oder Wohnsitz bedeutet – bei Gefahr in Verzug darf die Polizei ja ohne richterliche Anordnung in Privatwohnungen eindringen.

Gefahr geht von diesen Klängen selbst eigentlich nicht aus, höchstens die, dass man in ihnen ein wenig die Orientierung zu verlieren droht. Eher scheint Lichtenberger die Idee von Musik als einem Zuhause, in dem man es sich behaglich machen kann, mit kleinen Irritationen durchschütteln zu wollen. Als intervenierende Staatsgewalt gibt er sich in seinen Stücken jedoch nicht.

Beats rumpeln übereinander wie Teile einer Maschine, die nicht mehr rundläuft, lassen in Teilen erahnen, dass sie ihren Ursprung in den Stolperrhythmen der Bassmusik gehabt haben könnten. Es sind Restspuren von Clubmusik, die sich aber von der Tanzfläche mehr weg- als zu ihr hin bewegen. Lichtenberger konstruiert beschädigte Grooves, die ihre eigene Spannung erzeugen, in verschiedene Richtungen zerren, ob man nun den Körper von ihnen anregen lässt oder nicht.

Kein bildender Künstler, aber dafür ein umso entschiedener Befürworter der Bassmusik ist der ebenfalls in Berlin lebende Produzent Jens Massel alias Senking. Wo bei Lichtenberger eine knisternde Trockenheit vorherrscht, setzt Senking auf großräumig hallende Bässe, die allerhand Bilder von verlassenen Kellergewölben bis hin zu Unterwasserpanoramen heraufbeschwören können.

Überhaupt will Massel weniger durch das Spiel mit Genrekonventionen verwirren, als die Dinge – und die Töne mit ihnen – im buchstäblichen Sinn vertiefen. Sein Bass schrammt aggressiv angezerrt durch scheinbar bodenlose Gegenden, zum Festhalten taugen allein die harten, dezent holpernden Beats, zu denen sich, anders als bei Lichtenberger, ohne große Mühe tanzen ließe.

Es ist ein fast martialischer, in der Regel mit männlichen Attributen assoziierter Gestus, der einem auf „Closing Ice“ begegnet. Bloß dass diese bassbetonte Männlichkeit bei Senking weniger selbstbewusst-expressiv als in sich gekehrt und verängstigt erscheint. Wer weiß, vielleicht stehen die Bässe bei Senking auch weniger für mutmaßliche Potenz als für innere Dämonen. Die zum Tanzen zu bringen ist keine schlechte Form, sich ihnen zu stellen. Tim Caspar Boehme

Grischa Lichtenberger: „la demeure; il y a péril en la demeure“; Senking: „Closing Ice“ (beide Raster-Noton)