: Erdoğans Kurs ohne Erfolg
TÜRKEI Eine Kundgebung gegen den „Terror“ kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die frühere Begeisterung für den Präsidenten auch im eigenen Lager nachgelassen hat
Das Gelände ist wohl zehn Fußballfelder groß und nur dürftig gefüllt. Doch statt 1 Million Menschen sind am Sonntag höchstens 100.000 gekommen, um Präsident Recep Tayyip Erdoğan in seinem „Kampf gegen den Terror“ zu unterstützen. Obwohl dessen AKP es normalerweise meisterhaft versteht, Unterstützer zu Veranstaltungen zu karren, hat sie dieses Mal ihr Ziel weit verfehlt. Was am Montag kaum eine türkische Zeitung zu schreibt wagt, ist am Sonntag für jeden Besucher offensichtlich: die Veranstaltung ist ein Flop.
Seit Ende Juli lässt Erdoğan Stellungen der kurdischen PKK im Nordirak bombardieren. In mehreren Städten im kurdischen Südosten der Türkei herrschen Krieg und Ausgangssperren. Jeden Tag sterben Zivilisten, Polizisten, Soldaten und PKK-Kämpfer. Während es über die Verluste der PKK keine zuverlässigen Zahlen gibt, sind in dem Guerillakrieg bereits mehr als 120 Soldaten und Polizisten gefallen.
Doch knapp sechs Wochen vor der Parlamentswahl kommt Erdoğan seinem Ziel einer neuen absoluten Mehrheit für die AKP kaum näher. Diejenigen, die zur Veranstaltung „Gegen den Terror“ gekommen sind, sind überzeugte Anhänger Erdoğans. „Auch wenn das Ausland gegen ihn hetzt“, sagt ein Teilnehmer, „wir stehen zu unserem Führer.“
Aber die frühere Begeisterung bei Auftritten Erdoğans ist selbst bei seinen treusten Fans nicht mehr zu spüren. Wenn Erdoğan ins Mikrofon brüllt, er werde „die Terroristen bis zum letzten Mann jagen“, werden zwar Türkei-Fahnen geschwenkt, doch die Stimmung ist eher trotzig als begeistert. Das ist am Sonntagnachmittag in Istanbul so und das war am Donnerstag bei einer Veranstaltung gegen den „Terror“ in Ankara schon so.
Viele Türken geben nicht nur der PKK, sondern auch Erdoğan die Schuld daran, dass wieder geschossen wird und es den Anschein hat, als kehrten die dunklen 90er Jahre, in denen es insgesamt 40.000 Tote gab, zurück. Selbst die Hoffnung, mit dem Kriegskurs alle Nationalisten hinter sich versammeln zu können, scheint nicht aufzugehen.
Die Rechten nehmen Erdoğan übel, dass er überhaupt versucht hatte, mit der PKK zu reden. Am Wochenende berichtete die Zeitung Hürriyet, dass in den zwei Jahren, als es Gespräche mit PKK-Chef Abdullah Öcalan gab, die in den kurdischen Provinzen zuständigen Gouverneure zahlreiche Ersuchen des Militärs, gegen die PKK vorzugehen, abgelehnt hätten. Oktay Vural, ein Parlamentarier der rechtsradikalen MHP, warf Erdoğan deshalb vor, seine Politik habe die PKK erst stark gemacht.
Die Kritik sowohl der Ultranationalisten wie des säkularen, liberalen Teils der Gesellschaft an Erdoğan schlägt sich denn auch in den Umfragen nieder. Keines der von der AKP unabhängigen Meinungsforschungsinstitute sieht die Partei auch nur in der Nähe einer absoluten Mehrheit. Im Gegenteil, viele prognostizieren der Partei im Vergleich zu der Wahl im Juni, als die AKP ihre Mehrheit verlor, erneute Verluste. Im Gegenzug hält sich die kurdisch-linke HDP trotz aller Propaganda, sie sei Komplizin der PKK, weiterhin stabil über der 10-Prozent-Hürde. Es gibt deshalb bereits Spekulationen, ob die Wahl überhaupt stattfinden wird. „Unser größtes Risiko im Moment ist es“, sagte HDP-Vorstandsmitglied Garo Paylan am Montag gegenüber der Zeitung Todays Zaman, „dass Erdoğan die Wahlen streicht und stattdessen per Notverordnung regiert“.Meinung & Diskussion
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