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Tanzen im zweiten Leben

MITTELMEER Im Studio des Maxim Gorki Theaters startet am Freitag die erste Ausgabe des zweitägigen Folk-Festivals „Salt of the Mediterranean Sea“

Als Musik der Trinkhallen war der Liebesblues überall in der Ägäis erlebbar

Als sie während der Gezi-Proteste in Istanbul von einer Tränengaskartusche am Kopf getroffen wurde, schien das Leben von Lobna Allami zu Ende zu gehen. Nach mehreren Tagen im Koma und einigen Gehirnoperationen erholte sich die erfolgreiche Musikmanagerin aber und erlernte mühsam das Sprechen in ihren Sprachen Arabisch, Türkisch und Englisch von Neuem. Jetzt, in ihrem zweiten Leben, kuratiert sie die erste Ausgabe des Musikfestivals „The Salt of the Mediterranean Sea“ im Studio des Maxim Gorki Theaters.

Ihre Kontakte aus allen Ecken der Welt hielt sie per Facebook-Statusmeldung über ihre langwierige und schmerzvolle Genesung auf dem Laufenden. Zahlreiche Freunde aus der Welt der Musik ließen sich daher nicht zweimal bitten, als sie das Festival im Frühjahr plante und die Künstler aussuchte. Es hätte kaum einen besseren Zeitpunkt für Allamis Vorhaben geben können: Die politische Brisanz der kriselnden, sich stetig verändernden Länder, vermengt und zelebriert an zwei langen Abenden. Biografische Züge trägt diese Party der Weltmusik trotzdem, Lobna Allami zeigt mit der Mischung aus türkisch-arabischen Mittelmeerklängen ihrer neuen Heimat Europa die suburbane Schönheit und oszillierende Kreativität der Anrainerstaaten am Mittelmeer.

Gemeinsam spielen die Gäste auf der Bühne gegen die Schmerzen der Gegenwart und der Vergangenheit an. Das Salz des Mittelmeeres verbindet die Musiker mit den Flüchtlingen aus den Nachrichten und legt eine Spur zwischen dem Gestrigen und der Zukunft. Vergangene Musikstile werden nicht fortgewischt, um etwas Neues zu erschaffen, sondern dringen in neuen Formationen zurück an die Oberfläche So ist der erste Abend reserviert für den Rembetiko. Als osmanisch-byzantinische Musiktradition der urbanen Trinkhallen war der Liebesblues bis in die Mitte des vergangenen Jahrhunderts auf beiden Seiten der Ägäis erlebbar.

Jahrzehntelang als Musik der armen Schlucker verschrien, fristete Rembetiko bis zu ihrer Wiederentdeckung durch junge Weltmusikstars wie Ciğdem Aslan aus der Türkei und Nikos Tsiachris aus Griechenland ein eher tristes Dasein. In Berlin treffen nun beide auf den Berliner Bağlama-Virtuosen Taner Akyol, um die Symbiose einer längst vergangenen Zeit wiederaufleben zu lassen. Der zweite Abend blickt auf die arabischen Anrainerstaaten des Mittelmeeres. „Dancing to the Arab Spring“ ist wörtlich gemeint: Die Tänzerin Nabila Sabha und Musiker aus den krisengeschüttelten Ländern Syrien, Ägypten, Libanon und dem Irak versprechen einen Abend der Revolution. Wer da nicht mittanzt, hat bereits verloren.

EBRU TASDEMIR

„The Salt of the Mediterranean Sea“ im Studio /Gorki Theater

Freitag, 18. September;, Beginn 20.30 Uhr, Filmvorführung „Pera Beauty” ab 19.00 Uhr

Samstag, 20. September, ab 20.00 Uhr

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