piwik no script img

Die Taliban dringen ins Zentrum von Kundus ein

Afghanistan Erneut greifen die Taliban den früheren Bundeswehrstandort Kundus an und gelangen jetzt, aus drei Richtungen kommend, bis ins Zentrum der symbolträchtigen Provinzhauptstadt, wo sie laut einem Korrespondenten ihre Fahne hissen

Am Montag in Kundus: Eine Gruppe afghanischer Soldaten beobachtet die Kämpfe Foto: reuters

Von Thomas Ruttig

BERLIN taz | Schon zum zweiten Mal in diesem Jahr greifen die Taliban in Nordafghanistan den ehemaligen Bundeswehrstandort Kundus an. Der Angriff begann am Montagmorgen um3 Uhr. Im April waren die Taliban zu Beginn ihrer jährlichen Frühjahrsoffensive bis in die Außenbezirke der Provinzstadt vorgedrungen. Damals blieb offen, ob sie es tatsächlich auf die Eroberung der Stadt angelegt hatten. Jetzt verkündeten sie selbst, die Stadt einnehmen zu wollen. Dabei rückten sie jetzt bis ins Zentrum vor.

Ein Polizeisprecher erklärte am Abend, die Taliban hätten die Hälfte der Stadt unter ihre Kontrolle gebracht. Vorher hatten sie die Bevölkerung aufgefordert, in ihren Häusern zu bleiben, und dabei versichert, ihr werde nichts geschehen.

Berichten afghanischer Nachrichtenagenturen zufolge blockierten die Angreifer zunächst alle Einfallsstraßen, darunter die zum Flughafen. Dann rückten die Aufständischen zum Amtssitz des Provinzgouverneurs vor, den sie zumindest vorübergehend einnahmen. Laut dem Korrespondenten der Agentur Reuters hissten die Taliban auf dem zentralen Platz ihre Fahne.

Ihre Kämpfer sollen auch in das größte Krankenhaus eingedrungen sein und dort nach verwundeten Regierungskräften gesucht haben, berichteten Quellen in Kundus der taz. Taliban-Kämpfer posteten von dort in sozialen Medien Selfies. Bei Reaktionsschluss hielten die Kämpfe noch an. Bisher sollen über 40 Menschen ums Leben gekommen sein, Taliban, Regierungskräfte und auch Zivilisten.

Die Taliban bauen bei ihrem gegenwärtigen Angriff auf ihre Erfolge im Frühjahr. Damals konnten die Regierungstruppen sie zwar mühsam aus einigen stadtnahen Gebieten wieder verdrängen, aber eben nicht aus allen. Zudem sind die dort stationierten Einheiten der miliz­ähnlichen afghanischen Lokalpolizei – aufgestellt, um die reguläre Nationalpolizei zu unterstützen – wenig verlässlich. So berichteten afghanische Agenturen, die Taliban hätten auch aus Stellungen in der Stadt angegriffen. Das hieße, ihre Kämpfer hätten vorher die Stadt infiltrieren können.

Auch in der Peripherie setzten die Taliban sich fest. Zwei der insgesamt sechs ländlichen Distrikte der Provinz befanden sich seither vollständig unter Kontrolle der Taliban, die übrigen weitgehend. Aus diesen Richtungen griffen sie jetzt auch an. Quellen in Kundus sprachen von Angriffen „aus drei Richtungen“. Das scheint dazu geführt zu haben, dass die Regierungskräfte überdehnt waren, die versuchten, wenigstens die Distriktzentren zu halten oder verlorengegangene zurückzuerobern. Deshalb seien zu wenig Truppen in der Stadt gewesen.

Taliban-Kämpfer posten Selfies aus dem eingenommenen Krankenhaus

Offenbar spekulieren die Taliban auch darauf, dass die Regierungstruppen und ihre westlichen Alliierten – die USA leisten ja immer noch Luftunterstützung – davor zurückschrecken, Bomben- und Drohnenangriffe in einem urbanen Zentrum auszuführen und dabei fast zwangsläufig auch Zivilisten zu treffen. Sollte es doch dazu kommen, könnten die Taliban das zusätzlich propagandistisch ausschlachten.

Laut afghanischen Agenturen wurden zumindest bis mittags tatsächlich keine Luftangriffe geflogen. Dann gab es erste Berichte, dass die afghanischen Luftstreitkräfte Taliban-Positionen in Randgebieten der Stadt angegriffen hätten.

Der erneute Angriff auf Kundus zeugt auch davon, dass der zunächst umstrittene Führungswechsel von Mullah Mohammed Omar zu Achtar Mohammed Mullah Mansur die Taliban kaum geschwächt hat.Meinung + Diskussion SEITE 9

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen