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Beamter des Rausches

DROGENPOLITIK Horst-Dietrich Elvers kümmert sich in Friedrichshain-Kreuzberg um die Suchthilfe. Von der Coffeeshop-Idee hielt er zunächst wenig – und schrieb dann den Antrag für die Cannabis-Abgabe

von Plutonia Plarre

Horst-Dietrich Elvers bestellt sich einen Pott Kaffee mit Milch und eine Apfelschorle. Dann lehnt er sich zurück und lässt den Blick über den Hügel schweifen, auf dem sich eine Gruppe von Afrikanern niedergelassen hat. „Ich habe noch nie gekifft“, sagt Elvers. Wir sitzen im Cafe Edelweiß im Görlitzer Park. In jenem Park in Kreuzberg, wo alles anfing.

Jahrelang haben Politik und Polizei zugesehen, wie sich die 14 Hektar große Grünanlage zu einem Umschlagplatz für Drogen – zumeist Cannabis – entwickelte. Wachsende Zahlen von Dealern, vornehmlich Flüchtlinge aus Afrika ohne Arbeitserlaubnis, versorgten wachsende Zahlen von Kiffern, viele davon Touristen, mit Marihuana. Mit der zunehmenden Konkurrenz unter den Händlern eskalierte auch die Gewalt. CDU-Innensenator Frank Henkel erklärte den Park zur Null-Toleranz-Zone und setzte massiv Polizei ein. Die Dealer zogen weiter in die Seitenstraßen. Gelöst sind die Probleme nicht, allenfalls verdrängt.

Nun möchte das mehrheitlich grün regierte Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg einen neuen Weg ausprobieren. Mittendrin: Horst-Dietrich Elvers.

Der 41-Jährige ist Suchthilfekoordinator des Bezirksamts. Ein sperriger Titel. Man könnte auch sagen, er ist der Mann, der Deutschland vielleicht den ersten Coffeeshop beschert. Aber diese Bezeichnung würde dem gewissenhaften Beamten nicht gefallen. Elvers streitet dafür, dass das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg Cannabis-Fachgeschäfte aufmachen darf. Coffeeshops nach holländischem Vorbild, in denen nahezu jeder ein- und ausgehen kann, sind nicht das, was ihm vorschwebt. Auch keine Cannabis-Legalisierung à la USA. Die sei ihm zu bombastisch und zu marktorientiert, sagt er. „Da bleibt der Gesundheitsschutz auf der Strecke.“ Aber um den geht es ihm ja genau.

Elvers hat seine Vorstellungen von einer sinnvollen Abgabe von Cannabis in einem Antrag formuliert. Ende Juni hat er den Antrag abgeschickt. Nun liegt er beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Das CDU-Gesundheitsminister Hermann Gröhe unterstellte Institut ist die Behörde, die die Marihuana-Fachgeschäfte genehmigen müsste. Betäubungsmittelanfragen werden vom BfArM in der Regel binnen von drei Monaten entschieden. Das heißt: In dieser Woche läuft die Frist ab.

Der Bezirk will, dass alle in Friedrichshain-Kreuzberg gemeldeten erwachsenen Bürger legal Gras beziehen können. Auch der Konsum soll vor Ort möglich sein. Unter 18-Jährige sind von dieser Regelung ausgenommen, für sie gilt ein striktes Verbot.

Das kleine Friedrichshain-Kreuzberg würde damit in Deutschland den Vorreiter für eine Wende in der Drogenpolitik machen. „Wir haben die Diskussion massiv befeuert“, sagt Elvers. Der Anflug eines Lächelns huscht über sein Gesicht. Bremen, das Hamburger Schanzenviertel und Düsseldorf wollen dem Kreuzberger Beispiel folgen. In vielen anderen Städten wird über die legale Abgabe von Cannabis derzeit diskutiert. Elvers wird oft eingeladen. Er ist auf dem besten Weg, ein Handelsreisender in Sachen Coffeeshop zu werden.

Zu dem Treffen ist Elvers in heller Hose, kurzärmeligem Hemd und Schlappen gekommen. Er trägt einen Ohrring, an der Hand den Ehering. Hört man sich im Rathaus Kreuzberg über Elvers um, heißt es, er habe eine fast preußische Berufsauffassung. Lange habe er mit sich gerungen, ob er das Coffeeshop-Projekt gutheißen könne.

Er habe sich nie in Kifferkreisen bewegt, erzählt Elvers. Er spricht leise und schnell, man hört das Sächsische noch heraus. Er ist in einer Kleinstadt in Sachsen aufgewachsen. Bei der Wende war er 15 Jahre alt. In Jena und Dresden studierte er Soziologie. Am Umweltforschungszentrum in Leipzig promovierte er über den Zusammenhang von sozialer Lage und Allergierisiken. Zusammen mit seiner Frau und zwei Kindern wohnt er heute in einer Plattenbausiedlung in Pankow, weitab von Kreuzberg.

Elvers war zehn Jahre Wissenschaftler, bevor er 2011 im Bezirksamt anfing. Seine Chefin ist die grüne Bürgermeisterin Monika Herrmann, die gleichzeitig Gesundheitsstadträtin ist. Dem Vernehmen nach schätzen sich die beiden sehr. Mit Herrmann, sagt Elvers, sei er wegen des Projekts ständig im Gespräch.

Elvers selbst hat kein grünes Parteibuch. Mit der politischen Bewegung, die Cannabis legalisieren will, habe er nichts zu tun, betont er. „Ich bin Verwaltungsbeamter.“ Er habe auch keine Lust, Cannabis zu probieren. „Ich dope mich nicht.“ Immer wieder sagt er: Die Gesundheitsförderung und die Suchtprävention, „das ist mein Auftrag, das ist mir wichtig“.

Es ist lange her, dass sich in Deutschland jemand so weit vorgewagt hat wie die Kreuz­ber­ger Kommunalpolitiker. 1997 beantragte das Bundesland Schleswig-Holstein beim BfArM einen Modellversuch zur Cannabisabgabe in Apotheken. Der wurde abgelehnt.

Ende 2013 sprach sich dann das Bezirksparlament in Friedrichshain-Kreuzberg für das Modellprojekt zur kontrollierten Abgabe von Cannabis aus. Elvers hatte den Plan kurz darauf auf seinem Schreibtisch. Er sei zunächst mehr als skeptisch gewesen, gesteht Elvers. Äußerst kritisch sei er an den Auftrag herangegangen, habe die gleichen Vorurteile gehabt wie viele Eltern: dass der Zugang zu Drogen für ihre Kinder nun noch leichter werde.

Auf einer internationalen Expertendiskussion im Frühjahr 2014 stellte Elvers das Vorhaben zum ersten Mal öffentlich vor. „Wir haben Angst“, sagte er. „Aber wir wollen uns der Angst stellen.“ Jetzt, an diesem Vormittag im Görlitzer Park, spricht er lieber von Respekt.

Das ganze Jahr 2014, erzählt Elvers, habe er sich beruflich nahezu ausschließlich mit dem Thema befasst. Habe Fachleute getroffen, Anhörungen und Foren organisiert. „Wir haben uns sehr intensiv mit der Materie auseinandergesetzt.“ Den Ausschlag, es zu wagen, hätten die Experten der Suchthilfe und Prävention gegeben: „Überall trifft die Idee auf Zustimmung.“

„Ich habe mich nie in Kifferkreisen bewegt. Ich dope mich nicht“

Horst-Dietrich Elvers

Prämisse des Antrags ist, dass das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) in der bestehenden Form seinen Auftrag verfehlt – nämlich: die Gesundheit zu schützen. „Das passiert überhaupt nicht“, hebt Elvers an. Die Erklärung, die nun folgt, dauert etwas länger. Das bestehende Cannabisverbot bedeute in der Praxis, dass Kinder und Jugendliche nahezu ungehinderten Zugriff auf die Droge hätten. Es gebe keinerlei Differenzierung für Minderjährige und Erwachsene. „Es ist verboten, aber verfügbar.“

Alle Statistiken geben Elvers recht. Cannabis ist unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen so weit verbreitet wie nie zuvor. Mitte September 2015 hat die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ihre jüngste Studie veröffentlicht. Demnach gaben 17,7 Prozent der 18- bis 25-Jährigen an, in den letzten zwölf Monaten mindestens einmal Can­nabis konsumiert zu haben. Im Jahr 2008 waren es noch 11,6 Prozent. Der Anteil der regelmäßigen Konsumenten hat sich im selben Zeitraum von 3,1 auf 4,6 Prozent erhöht.

Cannabis Kindern und Jugendlichen gegenüber als Teufelszeug zu verdammen, bewirke überhaupt nichts, ist sich Elvers inzwischen sicher. Im Gegenteil. Die Verbote und die Bigotterie führten eher in die Sucht als ein offener Umgang mit der Droge. „Wenn man zugibt, dass Cannabis ein Genussmittel wie Alkohol und Nikotin ist, kann man viel offener und ehrlicher über mögliche schädigende Folgewirkungen reden.“

So steht es auch in dem Antrag. Jugendschutz habe oberste Priorität, betont Elvers. Kein Verkauf an unter 18-Jährige. Wenn berlin- oder gar bundesweit entsprechende Fachgeschäfte geöffnet würden, gäbe es durchaus Chancen, dem Schwarzmarkt die Basis zu entziehen, ist der Suchthilfekoordinator überzeugt.

Elvers hat sich in Fahrt geredet. Das Projekt ist ihm ein echtes Anliegen. Mit voller Überzeugung könne er über den 27-seitigen Antrag sagen: „Das ist ein seriöses, rundes Projekt im Interesse des Landes Berlin.“ Der Suchthilfekoordinator denkt auch bereits weiter. Eine ähnliche Regelung wie für Cannabis müsse es auch für Nikotin und Alkohol geben. Denn Alkohol sei mindestens so gebräuchlich und so weit verbreitet wie Cannabis und zudem deutlich gefährlicher.

Elvers hat viel Energie in das Projekt gesteckt. Wenn sich die Behörden diese Woche gegen den Antrag entscheiden sollten, wäre alles umsonst. Doch Elvers schüttelt den Kopf. „Nein“, sagt er entschieden. Er vertraue fest darauf, dass der Antrag unvoreingenommen geprüft werde, sagt er. Wenn die Leute beim BfArM das gleiche Berufsethos hätten wie er, könnten sie sich seiner Argumentation kaum entziehen. „Die ist nun mal schlüssig.“

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