: „Im Garten wird man demütig“
REKONSTRUKTION Die Wiederherstellung von Schloss Herrenhausen stellt die Geschichte von der Revolution der Gartenkunst infrage, sagt der Kunsthistoriker Horst Bredekamp
Zur feierlichen Eröffnung des wiederaufgebauten Schlosses Herrenhausen werden heute auch royale Gäste aus dem Hause Windsor erwartet. Das 1943 zerbombte Schloss konnte nun mit Hilfe der Volkswagen-Stiftung als moderner Tagungs- und Museumsbau rekonstruiert werden. Berühmt ist sein Barockgarten, der Horst Bredekamp Anlass gab, die Geschichte der Gartenkunst vom Kopf auf die Füße zu stellen. Mit dem großen Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz, der wesentliche Anregungen zur Anlage eines Gartens gab, sieht er den Gedanken der Freiheit und der Individualität nicht in den sanft geschwungenen Wegen des Landschaftsgartens, sondern vielmehr in den komplexen Geometrien des Barockgartens verwirklicht.
■ Horst Bredekamp: „Leibniz und die Revolution der Gartenkunst. Herrenhausen, Versailles und die Philosophie der Blätter“. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2012. 176 S., 100 Abb., 29,90 Euro
Wer es genau wissen möchte, gegen welchen mächtigen Mythos Bredekamp argumentiert, sollte unbedingt bei Nina Gerlach nachlesen, wie der Garten, die Urform des cineastischen Sets, im Filmbild des Barockgartens durchweg zum Ort des Bösen gerät. Der Spielfilm etabliert nach Gerlach einen wertenden Bildercode, in dem das Gartenbild immer schon ein Bild der Kritik ist.
■ Nina Gerlach, „Gartenkunst im Spielfilm. Das Filmbild als Argument“. Wilhelm Fink Verlag, München 2012. 507 S., 63 Euro
Mit dem neuesten Bildmaterial ausgestattet ist ein Band, der den geistesgeschichtlichen Rang von Herrenhausen zur Zeit von Gottfried Wilhelm Leibniz untersucht.
■ „Schloss Herrenhausen. Architektur, Garten, Geistesgeschichte“. Hirmer Verlag, München 2013. 168 S., 150 Farbabb., 29,90 Euro
INTERVIEW BRIGITTE WERNEBURG
taz: Herr Bredekamp, die Revolution der Gartenkunst, von der Ihr Buch im Titel spricht, lief auf die sozusagen republikanische Natur im Landschaftsgarten hinaus. Sie sagen nun, derartige Vorstellungen seien schon durch den Barockgarten vorbereitet worden.
Horst Bredekamp: Im Gegensatz zur linearen Abfolge vom feudalen Barockgarten zum modernen republikanischen Landschaftsgarten, gibt es zwei parallele Entwicklungen hin zur Moderne. Individualität etwa und Freiheit der Bewegung kann man aus verschiedenen Blickwinkeln für jeden dieser Gartentypen in Anspruch nehmen. In diesem Sinn hat auch der Barockgarten die Moderne mit vorbereitet.
Der englische Landschaftsgarten ist zwar nach dem Vorbild der pittoresken Landschaften von Claude Lorrain und Nicolas Poussin entstanden. Trotzdem scheint mir das stärkere Bild das des Barockgartens zu sein, vor allem im Film, wo dieser nicht so sehr hierarchisch als vielmehr unheimlich und bedrohlich erscheint. Lässt sich dieses Bild, für das „Letztes Jahr in Marienbad“ ein berühmtes Beispiel ist, noch drehen?
Ich schreibe gegen 300 Jahre Garten- und Politikgeschichte an und gegen 120 Jahre Filmgeschichte. Es gibt eine wunderbare kunsthistorische Dissertation, die im letzten Sommer erschienen ist, über den Garten im Spielfilm, und dort ist natürlich auch „Letztes Jahr in Marienbad“ aufgeführt. Die pyramidalen Büsche oder Kleinbäume werfen keine Schatten, während die zwischen ihnen stehenden Menschen Schatten aufweisen. Das ist, was Sie beschreiben. Im geometrischen Garten lauert in all dieser Ordnung etwas unkontrollierbar Böses. Das vielleicht unübertreffbare Beispiel ist Kubricks Film „Wege zum Ruhm“. Das ist einer der eindrucksvollsten Antikriegsfilme, die jemals gedreht wurden. Er wurde über 20 Jahre in Frankreich nicht gezeigt. Etliche Szenen wurden, obwohl er die französische Armee betrifft, im Schloss Schleißheim aufgenommen, und sie zeigen die vielleicht bemerkenswerteste Verbindung von Unmenschlichkeit und geometrischem Garten. Gegen diese Muster kommt man nur schwer an. Aber ich habe es doch versucht.
Spannend an Ihrer Untersuchung zum Garten von Schloss Herrenhausen in Hannover fand ich, dass Sie dort heutige Vorstellungen und Begriffe gewissermaßen auf den Kopf stellen. Geometrie steht dann für das Natürliche, während sich im krummen, gewundenen Weg das Artifizielle zeigt.
Was mich zum Umdenken bewogen hat, ist einmal die Dissertation von Pablo Schneider über Versailles, die gezeigt hat, dass der scheinbar unendliche Weg des Barocks, die barocke Linie, die vom Schloss ausgeht, keinesfalls unendlich ist, sondern nur für den Gartenbereich gilt. Die absolutistische Staatstheorie definiert den unbegrenzten Herrscher in einem begrenzten Bereich; sonst wäre es Anmaßung und Diktatur. Und der zweite Einwand, könnte man sagen, ist die Kritik, die der barocke Garten an Foucaults Theorie der Blickregime bereithält. Der Blick, der scheinbar allein vom Schloss und vom Auge des Souveräns über diese langen Linien bis zur Grenze des Gartens oder bis ins Unendliche geht, er kann auch umgekehrt werden. Je sichtbarer der Herrscher ist, je weiter er blicken kann, von desto weiter her kann er auch gesehen und getestet werden. Der omnipotente Blick wird also auch theoretisch zum Objekt einer omnipotenten Kritik. Und dieses Wechselspiel hat der geometrische Garten aufgeführt.
Leibniz hat nun, wie ich finde, schönerweise den Garten auch als Nutzgarten gesehen. Maulbeerbäume sollten die von ihm gegründete Akademie der Wissenschaften in Berlin finanzieren. Wurde daraus jemals etwas?
HORST BREDEKAMP
Ja, daraus ist tatsächlich etwas geworden. Die Bäume brauchten ihre Zeit. Nach seinem Tod 1716 existierte eine ausgiebige Seidenherstellung und Verarbeitung. Davon gibt es auch Darstellungen.
Im Garten wird ständig Hand angelegt, zumindest werden die Füße bewegt, man spürt die Luft und die Kühle des Schattens. Muss das nicht zu einer anderen als einer strikt zeremoniellen Haltung führen?
Ja, es gibt eine neutralisierende Kraft des Gartens. Diokletian in seinem Palastgarten in Split ist als Gärtner auf der Ebene der Handwerker, der echte Gärtner. Er lässt alles hinter sich, was auch nur ansatzweise an Hierarchien mitgebracht wird. Ich würde diesen Zug noch mit einer anderen Kategorie verbinden: der langen Zeit. Dass derjenige, in welcher hierarchischen Stellung er immer ist, im Garten gegenüber der Umwelt demütig wird, weil all das, was er tut, sehr, sehr lange dauert, in der Regel über seine Zeit hinaus. Das vielleicht Berührendste am Garten ist die lange Dauer der Wirkung der eigenen Gestaltung und das langsame, sukzessive Erleben eines Zwischenspiels zwischen dem Gestalter und der Natur, die es mit sich geschehen lässt oder sich wehrt.