: Minuten der Entfesselung
Neuanfang Der berauschende 4:2-Erfolg der Gladbacher gegen Augsburg ist auch ein Verdienst von Extrainer Favre. Sein freiwilliger Rückzug setzt zur Überraschung der Klubführung verloren geglaubte Kräfte frei
AUS GLADBACH DANIEL THEWELEIT
Borussia Mönchengladbach war nicht wieder zu erkennen gegenüber den leblosen Spielen in Sevilla und Köln. Die Mannschaft beglückte das Publikum in den ersten 20 Minuten der Partie mit einem wilden Fußballfeuerwerk, wie man es nur selten zu sehen bekommt. Fabian Johnson hatte die Borussia nach fünf Minuten in Führung gebracht, das Team spielte wie befreit, der Ball lief, Zweikämpfe wurden gewonnen, die Freude am Spiel war zurück. Und dann kamen die vier Minuten der Entfesselung, über die man noch lange sprechen wird in Mönchengladbach. Granit Xhaka, Lars Stindl und Mahmoud Dahoud schossen innerhalb von vier Minuten drei weitere Tore. Jeder Schuss war ein Treffer. Und der überragende Raffael, von dem es immer hieß, er könne nur unter Lucien Favre seinen besten Fußball spielen, hatte alle Treffer vorbereitet.
Die Ungläubigkeit in den glücklichen Gesichtern im Stadion erinnerte während dieser Minuten an die Bilder vom verrückten Fünf-Tore-Rausch des Robert Lewandowski tags zuvor in München. Es waren Momente, in denen plötzlich alles mit einer überirdischen Leichtigkeit zu funktionieren schien. „Unglaublich, was da abgegangen ist“, sagte Sportdirektor Max Eberl. Es war eine neue, sehr überraschende Wendung in einer Woche, die in Mönchengladbach niemand so schnell vergessen wird.
Vor dem Spiel gab es noch einen ziemlich traurigen Abschied von Favre, ein Bild des zurückgetretenen Trainers wurde eingeblendet, und die Fans applaudierten in einem emotionalen Zustand irgendwo zwischen Dankbarkeit und Verständnislosigkeit. Immer noch wird ja gerätselt, wo genau die Gründe für Favres Flucht aus Mönchengladbach liegen. Aber diese Geschichte war nach 20 Minuten erst einmal vergessen.
Die Borussia war nicht wiederzuerkennen. Anstelle der Mutlosigkeit, der Selbstzweifel und der Neigung zum fatalen Fehler waren plötzlich lange verschüttete Qualitäten zu sehen: Einsatzfreude, Lust am Spiel und eine enorme Laufbereitschaft. „Wir waren heiß, weil der Trainer uns heiß gemacht hat“, erzählte Xhaka, der die Mannschaft anstelle des verletzten Tony Jantschke als Kapitän anführte. Damit sei „ein Traum in Erfüllung gegangen“, sagte er.
Schubert erklärte seine Entscheidung, Xhaka zum Kapitän zu machen, später als pädagogische Maßnahme. „Er muss irgendwann lernen, Verantwortung zu übernehmen, denn er kann Leute mitreißen“, sagte der Trainer, aber dazu müsse Xhaka auch „diszipliniert spielen“. Die Kapitänsrolle sollte das Bewusstsein für diesen Balanceakt zwischen erwünschter Aggressivität und einer gefährlichen Grenzüberschreitung schärfen.
Am Ende musste der Schweizer zwar wieder mal ausgewechselt werden, weil er kurz vor einem Platzverweis stand, aber er hatte sehr gut gespielt und glänzend mit dem wunderbaren Dahoud als Partner auf der Doppelsechs harmoniert. Selbst als die Augsburger durch zwei Elfmeter von Paul Verhaegh noch einmal zurück ins Spiel zu kommen schienen, blieb die Borussia stabil, legte einen Gang zu und hatte genug Chancen auf einen fünften oder gar sechsten Treffer. „Andre hat es geschafft, die Jungs in der Kürze der Zeit freizumachen“, sagte Eberl.
Die Wirkung dieses Trainerwechsels war genau so, wie sich eine Vereinsführung solch eine Maßnahme idealerweise vorstellt, nur dass die Trennung in diesem Fall gar nicht erwünscht gewesen ist. Und deshalb drängte sich an diesem Abend der Gedanke auf, dass Favre besser wusste, was gut für die Mannschaft und den Klub ist als Sportdirektor Eberl und das Präsidium. In jedem Fall ist die Borussia mit ihrem ersten Saisonsieg zurück und hat nun am Samstag ein wunderbares Abstiegsduell beim ähnlich rätselhaften Konkurrenten VfB Stuttgart vor sich, der an diesem Abend ebenfalls seinen ersten Sieg errang.
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