: Das Warten macht die Menschen mürbe
Flüchtlinge I Die Stimmung vor dem Landesamt Lageso ist extrem angespannt. Koordinierungsstab denkt über Verbesserungen nach
von Julian Rodemann und Uta Schleiermacher
Kein Tag vergeht mehr ohne Zwischenfälle vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) in Moabit. Am Mittwoch kam es erneut zu Rangeleien: Der Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes schlug einem wartenden Flüchtling mit der Faust ins Gesicht. Das berichteten mehrere Augenzeugen übereinstimmend. „Er wurde erst am Hinterkopf getroffen, dann direkt im Gesicht“, sagte Samb Jarah, der die Szene beobachtet hatte. Der Angegriffene hatte offenbar versucht, über die Absperrungen vor der Behörde in der Turmstraße zu gelangen.
Am Dienstag drängten sich Flüchtlinge an einem Absperrgitter, riefen Sprechchöre und pfiffen. Sie forderten, mit jemandem vom Lageso zu sprechen. Die Polizei rückte an und versuchte, die aufgebrachten Menschen mithilfe eines Sprachmittlers zu beruhigen. Menschen aus Syrien beschwerten sich: Es seien zu viele Flüchtlinge aus anderen Ländern da, ihre Anträge würden nicht schnell genug behandelt. „Solche Einsätze haben wir hier mehrmals am Tag“, sagte eine Polizistin. Später am Tag geriet die Lage zeitweise außer Kontrolle, die Polizei setzte Pfefferspray ein.
Vor den Bus gelegt
Am Montagabend wiederum hatte sich nach Polizeiangaben ein 32-jähriger Mann aus Afghanistan mit seinem vor den Bauch geschnallten Kind vor einen Bus gelegt, als der Fahrer anfahren wollte. Der konnte rechtzeitig bremsen, ein Mitarbeiter des Sicherheitspersonals zog den Mann auf den Gehweg.
Am Mittwoch wurden die ersten fünfzehn von fünfzig Bundeswehrsoldaten geschult, die das Lageso bei der Registrierung von Flüchtlingen unterstützen sollen. Um das Landesamt in der Turmstraße zu entlasten, werden seit dem 15. September außerdem aus Bayern kommende Flüchtlinge in einem Polizeigebäude in der Kruppstraße registriert.
Zudem möchte das Lageso weiterhin die Flüchtlinge in ihren Unterkünften mit „Mobilen Einheiten“ registrieren. Von diesen war Anfang der Woche allerdings nur eine im Einsatz – mangels der entsprechenden Technik können die Teams auch nicht alle Aufgaben erledigen.
Ab Mitte Oktober sollen Flüchtlinge in der ehemaligen Landesbankzentrale in der Bundesallee registriert werden. (usch)
Die Ehrenamtlichen der Initiative „Moabit hilft“ haben am Dienstag beschlossen, sich von der Fläche vor dem Lageso zurückzuziehen. Sie helfen zwar weiter bei der Essensausgabe, werden aber kein Essen mehr an der Warteschlange verteilen. „Am vergangenen Freitag haben dort einige Flüchtlinge zwei Helfer ins Gebüsch geschubst“, erzählt Michael Ruscheinsky von „Moabit hilft“. Trotzdem warfen Freiwillige am Mittwoch wartenden Flüchtlingen Capri-Sonne-Beutel zu. „Vielen von uns fällt es schwer, von der Warteschlange fernzubleiben“, so Ruscheinsky. „Die Menschen dort haben Durst und brauchen Hilfe, sie warten den ganzen Tag lang.“ Die Stimmung sei jedoch allgemein gereizter und aggressiver, berichtet eine Helferin.
Darüber, wie das Warten für die Menschenmassen vor dem Lageso erträglicher werden könnte, hat am Mittwoch auch der Koordinierungsstab zum Flüchtlingsmanagement unter Leitung des neuen Staatssekretärs für Flüchtlingsfragen, Dieter Glietsch, diskutiert. Welche konkreten Maßnahmen beschlossen wurden, war bis Mittwochabend nicht bekannt.
Unklare Nummernfolge
Der Koordinierungsstab reagiert auf die zunehmend angespannte Situation. Tausende Flüchtlinge warten täglich darauf, dass ihre Nummer aufgerufen wird. Für Unmut sorgt die Intransparenz des Systems: Die Nummern auf der Anzeigetafel im Freien laufen in keiner erkennbaren Reihenfolge durch – Z134, BI42, U088. Davor sitzen Hunderte Männer, Frauen und Kinder. „Das sind die Nummern von Anträgen, die fertig bearbeitet sind“, erklärt Lageso-Sprecherin Silvia Kostner.
Bis es so weit ist, dass ihre Nummer auf der Tafel erscheint, müssen die Flüchtlinge mehrere Schritte durchlaufen. Ausgegeben werden die Nummern ein paar Schritte weiter vor einem anderen Gebäude. Dort warten Menschen dicht gedrängt zwischen Absperrgittern. Da die Sachbearbeiter mit dem Andrang nicht nachkommen, gäben sie nur bis 14 Uhr Nummern aus, sagt Lageso-Mitarbeiter Tobias Hein. Doch die wartenden Flüchtlinge, fast alle Männer, warten weiter bis zum Abend. „Manche stehen hier acht Stunden“, sagt Hein.
Wer eine Nummer ergattert hat, wird fotografiert, muss den „B-Bogen“ mit Angaben zur Person ausfüllen (auch „A-“ und „C-Bögen“ gibt es noch), bekommt einen Platz in einer Notunterkunft und einen Termin für die gesundheitliche Untersuchung, erklärt Kostner. Erst anschließend kommt die Nummer aufs Display, und die Flüchtlinge erhalten ihre „Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender“, die BüMA. „Das sind komplizierte Strukturen, die nicht jeder versteht“, sagt Kostner. Einen Laufzettel oder eine Übersicht in mehreren Sprachen gibt es bisher nicht, laut Kostner wolle man das aber „mal besprechen“.
Selbst die, die alles schon hinter sich haben, warten eventuell umsonst. „Morgens steht hier immer jemand und notiert die Nummern der Leute, die da sind. Nur die erscheinen im Laufe des Tages auf dem Display“, erklärt Hein. So wolle das Lageso vermeiden, dass Nummern von Abwesenden aufgerufen werden. Melde sich niemand, verschwinde die Nummer nach einiger Zeit wieder. Bis dahin hätten aber eventuell schon Freunde der betreffenden Person Bescheid gegeben.
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