: „Lasst mich spielen!“
Do it yourself Wie bekommen Kinder Freiraum, um sich entwickeln zu können? Elternberaterin Christiane Kutik gibt in ihrem Buch „Spielen macht Kinder stark“ Tipps
Von Ansgar Warner
Kinder sollen fit gemacht werden für die Zukunft – deswegen investieren Eltern viel Geld in Frühlernprogramme, Fitness- oder Fremdsprachenkurse. Das freie Spiel kommt dabei leider oft zu kurz. Elternberaterin Christiane Kutik hält das für ein großes Problem: Das „Superkind im Förderwahn“ verliere dadurch nämlich die „natürliche Gabe, durch Neugier, Ausprobieren, Spielen und Nachahmen zu lernen“. Gerade das freie, eigenständige Spiel sei aber zum Aufbau einer individuellen Persönlichkeit wichtig. „Im freien Spiel üben sie absichtslos, was ihnen im Leben zugutekommt: eigenständiges Denken und Handeln“.
In ihrem anschaulich aufgemachten Buch „Spielen macht Kinder stark“ plädiert sie deswegen für eine bewusste Erziehungshaltung, die kindliche Spielfreude wahrnimmt, zulässt und unterstützt. Spielen für die Kleinen, so Kutik, sei nämlich nicht nur in Ordnung, es sei letztlich auch besser, als vorgefertigte Frühlernkurse anzubieten. Die elterliche Hoffnung auf schnelle Lernerfolge verkehre sich ohnehin oft ins Gegenteil: am Ende reagiere das überförderte wie überforderte Kind mit Lernverweigerung.
Zu den stattdessen zu fördernden „Schätzen“, die Kinder von Anfang an mitbringen, zählt Kutik Bewegungsfreude, Nachahmungstrieb und Entdeckerfreude. Damit diese natürlichen Fähigkeiten auch nachhaltig zum Tragen kommen, müssten die Erwachsenen aber erst mal umlernen: „Kinder brauchen kein ‚Helfen‘ beim Spielen“, so Kutik. „Doch sie brauchen den Erwachsenen als Gegenüber, die Elternsonne, die ihnen Licht und Rückhalt gibt.“ Kinder wollten ihre Spielfreude gern mitteilen und zum Beispiel zeigen, was sie gerade entdeckt haben.
Kutik zeigt in anschaulichen Beispielen, wie gerade das im Alltag unter die Räder kommt:
„Freudig kommt der Viereinhalbjährige von draußen herein: ‚Du, Papa …‘ – Papa ist auf dem Sofa, die Zeitung vor der Nase: ‚Hm‘ – Das Kind: ‚Ach, du liest ja Zeitung.‘ – Der Vater, den Blick weiterhin auf das Blatt geheftet: ‚Erzähl ruhig, ich kann beides.‘ – Das Kind geht weg. Es hat das Tolle, was es gerade entdeckt hat, nun doch nicht mitgeteilt. Und der Vater fragt auch nicht weiter.“
Auch der Nachahmungstrieb der Kinder werde leider oft als mutwillige Störung missverstanden, bedauert Kutik. Die Kinder wollten die Erwachsenen aber nicht von der Arbeit abhalten, sondern mitmachen: „Sie fühlen sich magisch angezogen, wenn Erwachsene sichtbar mit den Händen etwas arbeiten“. Mitmachen würden Kinder als „sinnerfülltes Spiel“ erleben. Auch hier müsse man deswegen ein neues Selbstverständnis entwickeln: „Wenn Kinder da sind, brauchen wir in Bezug auf unser Tun ein ganz neues Denken und Handeln, denn der nachvollziehbar tätige Mensch ist das, was Kinder von null bis sieben wirklich interessiert“.
Erwachsene sollten sich selbst und ihre Alltagstätigkeiten nicht unterschätzen: Der sichtbar handelnde Vater oder die sichtbar handelnde Mutter seien für die Kleinen das wichtigste Spielvorbild überhaupt. „Ab drei Jahren können und wollen die Kinder schon richtig mitwirken. Sie können etwas umrühren, Teig kneten, Gemüse waschen und mit dem Schäler schälen, Wäsche aufhängen.“ Auch beim Reparieren, Schrauben und Gärtnern, wenn der Fahrradschlauch geflickt, ein Möbelstück montiert oder ein Vogelhaus gebaut werde, seien die Kinder fasziniert dabei.
Dabei sei die Arbeit der Großen aber oft nur Vorbild: „Spielhelfen“ bzw. „Mitspielen“ habe für die Kinder den gleichen Status wie Spielen. Nicht zu verachten sei aber auch das geduldige Zuschauen der Kinder – etwa am Rand einer Baustelle. Auch da gilt dann erst mal: nicht stören. „Zuschauen ist äußerst spielanregend“, so Kutik. Überhaupt solle man Ausschau nach Menschen in der Umgebung halten, die „nachvollziehbare Tätigkeien“ ausübten, deren Beobachtung sich lohnen kann, etwa in einer Gärtnerei, beim Imkern, bei einem Tischler oder Modellbauer.
Doch die Ideen zum Nachspielen und Nachmachen können auch aus Singspielen, Reimen oder Geschichten kommen, die Eltern ihren Kindern zum Besten geben: „Sie brauchen Kinderkultur, aus der dann innere Bilder und Ideen zum Nachspielen erwachsen.“ Ein Problem, das dem freien Spiel gegenübersteht, ist die Neigung moderner Eltern zur totalen Kontrolle. Früher sei das anders gewesen, so Kutik: „Keine Eltern weit und breit, in der Natur zu sein war selbstverständlich, keiner hat uns kontrolliert“. Den Helikoptereltern schreibt Kutik ins Stammbuch: „Eigenständig spielen zu können beginnt damit, dass Eltern sich auch zurücknehmen können“. Kinder bräuchten Rückzugsräume, Zeit zum Träumen und Trödeln. Und nicht vergessen: ab und zu dann auch mal elternfrei.
Christiane Kutik: „Spielen macht Kinder stark“. Verlag Freies Geistesleben (Stuttgart), 200 Seiten (geb.), 19,90 Euro
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