: Wie Wackelpostkarten
Berlin Art Week Weniger Experiment, mehr Messe: Am Wochenende fuhr die Art Berlin Contemporary abc zeitgenössische Kunst im Postbahnhof recht marktkonform auf
von Sabine Weier
Zigarettenmännchen aus Plastik begrüßten die Gäste am Eingang zur Kunstmesse abc, Wilhelm Klotzek hatte sie samt einer Bushaltestelle dort installiert. Drinnen spielte man Tischtennis, die Platten hatte Rirkrit Tiravanija aufgestellt. Die Kunstwelt amüsierte sich an diesem Wochenende da, wo das kommerzielle Herz der Berlin Art Week schlug. Politisches, wie eine Flagge von Jeanno Gaussi mit dem Schriftzug „Save our Souls“ und in den Mast eingravierten Hasskommentaren aus dem Internet, gingen da regelrecht unter. Selbst Ai Weiweis „Iron Grass“ präsentierten Neugerriemschneider und die Pekinger Galerie Magician Space im Schulterschluss als schlichtes Feld aus in Eisen gegossenen Grashalmen. Bei der Biennale in Vancouver vergangenes Jahr hatte der Künstler die Elemente noch zum „F“ zusammengesetzt, um ein subversives „Fuck“ zu evozieren – als Kommentar zur Zensurpraxis der chinesischen Regierung.
Im ehemaligen Postbahnhof am Gleisdreieck kommentierte sich die Kunst lieber selbst. In ihrem achten Jahr trat die Art Berlin Contemporary vor allem als Messe und weniger als Ausstellung auf, auch wenn die Initiatoren (eine Gruppe Berliner Galeristen) sie mal als hybrides Format zwischen beidem gedacht hatten. Das unterstrich auch die neue, weniger offene Ausstellungsarchitektur vom Büro June14 Meyer-Grohbrügge & Chermayeff: Wände in Kreuzform strukturierten den Raum in flexible Kojen. Mit kuratorischen Schwerpunkten hatte die abc in den vergangenen Jahren an ihrem Profil gebastelt, jetzt kam sie weniger experimentierfreudig daher. Kuratiert wurde lediglich in der frisch sanierten Bananenhalle. Privatsammler, die Werke im Museumsformat kaufen, stellten dort einige davon aus; die Düsseldorferin Julia Stoschek etwa eine auf neun Bildschirmen laufende Videoarbeit von Elaine Sturtevant.
Neben Sammlern wie Stoschek, die wichtige Player im öffentlichen Kunstbetrieb sind, kamen jene, die einfach etwas an die Wand hängen wollen. Für diese nicht unwichtige Klientel müssen Künstler auch mal was von ihren Arbeiten ableiten, das dorthin passt. So stellte die Galerie Sprüth Magers gerahmte Stills aus den schrillen Videoarbeiten von Ryan Trecartin (18.000 Euro) und eine zusammen mit dessen Szenenbildnerin Lizzie Fitch entworfene Skulptur (80.000 Euro) aus. In den Berliner Kunst-Werken hatten die beiden vergangenen Winter ihre spektakuläre Installation „Site Visit“ gezeigt. Sie lebt gerade vom wilden Durcheinander der Bilder und Tonspuren, die durch mehrere Kanäle gejagt werden – eine Ästhetik, die in ihrer Marktvariante weniger überzeugt.
Wie Arbeiten kunstmarkttauglich machen, ist eine Frage, die auch Netz- und Softwarekünstler umtreibt. Solche vertritt zum Beispiel die Future Gallery. Bei der abc zeigte sie mit Constant Dullaarts Arbeit „Jennifer in Paradise“, wie sich die Sphären verbinden lassen. Auf Lentikular-Drucken (6.500) (man kennt das von Wackelpostkarten) imitierte Dullaart verschiedene Photoshop-Filter anhand eines einzigen Bildes: Es zeigt Jennifer Knoll an einem paradiesischen Strand, fotografiert von ihrem Mann, dem Photoshop-Erfinder John Knoll. Der hatte es in den Achtzigern genutzt, um zu demonstrieren, wie man Bilder mit der Software manipulieren kann.
Tendenz zur Introspektion
Dass solche jungen Galerien neben etablierten ausstellen, macht die abc erst interessant. Alexander Levy brachte eine Arbeit von Felix Kiessling mit, die sich mit Zeit beschäftigt. Ein per Funk exakt gestelltes Uhrwerk schleppt an einem Stab einen kleinen Graphitblock meditativ im Kreis und hinterlässt so auf einem Blatt (2.200 Euro) allmählich einen schwarzen Ring, der Spuren der vergangenen Zeit speichert, etwa wenn der Block mal ruckelt. Mit Zeit befasste sich auch Mikko Rikala für seine Serie „Ten Weeks by the Sea“. Er schoss ein Bild vom Meer, faltete es, trug es in der Hosentasche mit sich und dokumentierte den allmählichen Abrieb. Bei Taik Persons präsentierte er ein chronologisch geordnetes Tableau zusammen mit anderen Objekten als Installation (30.000 Euro).
Arbeiten wie diese legen eine Tendenz zum Introspektiven nahe. In einer Welt, in der zu viel passiert, macht sich die Kunst gut als Rückzugsort. Li Ming bewegt sich in seiner 8-Kanal-Videoarbeit „Movements“ (18.000 Euro), ausgestellt von der Galerie Antenna Space aus Schanghai, auf einer Straße fort und wechselt dabei immer wieder das Gefährt: Mal springt er auf ein Fahrrad, mal in die Schaufel eines Baggers, mal auf einen Rollkoffer. Das ist auch ein schönes Bild für die Entwicklung der abc: Die Messe hat so einiges ausprobiert und tut es noch. Voran kommt sie so gut. Es wäre schön, wenn sie sich ein wenig Experimentierfreude bewahren würde.
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